Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
und Hausaufgaben. Das alles ist fürchterlich langweilig, was bei unseren gemeinsamen Abenden früher nie der Fall war.
Natürlich gebe ich daran Chuck die Schuld. Und Joni, weil sie mit Chuck zusammen ist.
Ich merke, wie sie Ted zu beobachten versucht, ohne dass es so wirkt, als würde sie ihn beobachten. Ich weiß, dass sie seinen Hinterkopf lesen kann wie der Rest von uns Gesichter.
Wir halten das Essen tapfer durch. Tony erzählt wortreich von der Androhung seiner Eltern, ihn auf ein kirchliches Meditationswochenende zu schicken.
» Die sind ja total daneben«, verkündet Chuck, während er eine Fritte aufspießt.
Als wir mit dem Essen fertig sind, stürzen wir zu den Flipperautomaten im hinteren Bereich des Diners. Und ich sage euch– nichts kommt dem Erlebnis gleich, sein gesamtes Schicksal einer kleinen Metallkugel anzuvertrauen, die durch Lichter, Geräusche und Plastik hüpft. Die Flipper hier schlucken nach wie vor Vierteldollarmünzen, und jeder von uns hat da so seinen Aberglauben. Ich spiele am besten, wenn ich eine Münze aus Georgia oder Rhode Island einwerfe. Tony schwört auf Pennsylvania und Maryland. Ted, das weiß ich, hat zu Hause in einer Schublade einen ganzen Vorrat von Connecticuts; manchmal tauschen wir in der Cafeteria unsere Quarters, um unsere Geheimwaffen aufzustocken.
Tony und ich wechseln uns am Elvis-Flipper ab, bei dem goldene Lämpchen schimmern und immer wieder der King aufleuchtet. Wenn man 10 000 Punkte erreicht, spielt er » Love Me Tender«, bei 25 000 » Can’t Help Falling in Love« und eine verschenkte Kugel endet mit » Heartbreak Hotel«.
Chuck bearbeitet seinen eigenen Flipperautomaten– manchmal teilt er ihn sich mit Joni, meistens aber spielt er allein und sie feuert ihn dabei an.
Wir spielen seit ungefähr einer Viertelstunde, als Ted und Jasmine zu uns herübergeschlendert kommen.
» Na, Gay Boys, wie geht’s denn so?«, fragt er mich und Tony.
» Wen nennst du hier Gay Boy, du Loser?«, schießt Chuck zurück.
» Ähm, Chuck, hallo?«, sage ich. » Er hat mit mir geredet. Und mit Tony.«
» Ach so.«
Aber Ted will das nicht auf sich sitzen lassen. Er lässt einen Connecticut-Quarter auf Chucks Flipper fallen.
» Das nächste Spiel ist meins«, sagt er. » Streng dich besser mal an.«
Bei unserem Elvis ist gerade Tony an der Reihe, deshalb klinke ich mich etwas aus. Während Ted mit argwöhnischen Augen Chucks Spiel beobachtet, stellt sich Jasmine neben mich.
» Was läuft hier?«, frage ich sie.
Sie lächelt mich mit flirtendem Augenaufschlag an. » Wer sagt denn, dass bei mir was läuft?«
Jasmine hatte es immer schon ein bisschen auf mich abgesehen, und sei es auch nur, weil sie weiß, dass ich für sie unerreichbar bin.
» Seid ihr zwei jetzt zusammen, Ted und du?«
» Eher nicht. Er braucht nur jemand, mit dem er reden kann. Für alles andere ist bei ihm im Augenblick kein Bedarf– davon hat er gerade die Nase voll.«
Wir gucken beide zu Ted rüber und sehen, wie er Chuck und Joni anstarrt. Chuck fühlt sich ganz klar unwohl in seiner Haut, aber er weiß nicht, wie er jetzt reagieren soll, ohne wie ein brutaler Macho zu wirken (was mit uns als Zuschauern gar nicht gut käme). Angespannt steht er am Flipper und spielt seine Runde. Und wie jeder weiß, ist eine angespannte Flipperrunde eine versenkte Flipperrunde. Er hat gerade mal 8000 Punkte gemacht, als die letzte Kugel verschluckt wird. Leicht verdutzt blickt er auf das niedrige Ergebnis, dann macht er einen Schritt zur Seite, damit Ted spielen kann.
Mir ist schon jetzt klar, dass Ted gewinnen wird. Er ist im Flippern verdammt gut. Und er will unbedingt gewinnen.
Joni sieht aus, als würde sie darauf warten, dass jemand Alarm schlägt. Sie weiß genauso gut wie ich, was gleich passieren wird. Vorsorglich legt sie die Hand auf Chucks Schulter, um ihn zu trösten. Ted bemerkt die Geste und spielt noch erbarmungsloser. Tonys Runde mit Elvis endet bei respektablen 16 749 Punkten. Ich bin wieder dran, aber ich rühre mich nicht. Wir schauen alle Ted zu.
Normalerweise lärmt Ted beim Flippern laut herum und brüllt die Kugel an, nach rechts oder links zu schießen. Jetzt aber ist er von einer Zen-artigen Ruhe. Ein zufälliger Beobachter könnte den Eindruck haben, dass er mit der Kugel eins geworden ist, dass er sich in die Kugel verwandelt hat.
Aber ich kenne die Wahrheit.
Die Kugel ist Chuck.
Und Ted will ihm die Seele aus dem Leib prügeln.
Die Bumper zucken, die Targets fallen–
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