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Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders

Titel: Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Lichtung.
    Tony hat es mir nicht gleich erzählt. Bei unserem zweiten oder dritten Besuch deutete er auf ein paar dicht beieinanderstehende buschige Bäume und sagte: » Da drinnen ist eine kleine Lichtung.« Wir sind noch ein paarmal wiedergekommen, erst dann steckten wir unsere Köpfe hinein– und tatsächlich war da eine Grasfläche, ungefähr die Stellfläche von zwei Wohnwagen groß und ringsum von Ästen, Stämmen und Blättern bewacht. Erst ein oder zwei Monate später erzählte mir Tony, dass er mal eine Woche lang auf der Lichtung gewohnt hatte– in der Woche, nachdem seine Eltern herausgefunden hatten, dass er schwul ist. Seine Mutter hatte beschlossen, seine Wintersachen gegen seine Sommersachen auszutauschen, und räumte dafür alle Schubladen aus, während Tony in der Schule war. Dabei fand sie in ein Holzfällerhemd gewickelt eine Zeitschrift– nichts Anstößiges, nur eine alte Ausgabe von » The Advocate«, die Tony bei einem seiner Ausflüge nach Big City gekauft hatte. Zuerst begriff seine Mutter gar nicht und dachte bei dem Titel » The Advocate« an eine Fachzeitschrift für Juristen. Aber dann setzte sie sich aufs Bett und schlug das Inhaltsverzeichnis auf– und Tonys Geheimnis war von da an keines mehr.
    Sie verstießen Tony nicht, aber sie verhielten sich so, dass er es nicht mehr aushielt und von zu Hause weglief. Sie brüllten ihn nicht an, stattdessen beteten sie laut für sein Seelenheil. All ihre Enttäuschung, ihren Zorn und die Schuld ließen sie ihn durch die Gebete spüren. Damals kannte er mich noch nicht, er kannte noch niemanden, zu dem er hätte gehen können und der ihm hätte sagen können, dass mit ihm alles in Ordnung war. Deshalb packte er im Keller das Campingzelt, nahm ein paar Anziehsachen mit und richtete sich auf der Lichtung ein. Er ging weiter zur Schule und ließ seinen Eltern mitteilen, mit ihm sei alles in Ordnung. Schließlich handelten sie telefonisch einen Waffenstillstand aus. Er kehrte nach Hause zurück und sie versprachen, sich mit ihren Verdammungen zurückzuhalten. Ihre Gebete tönten tatsächlich nicht mehr so laut durchs Haus wie vorher, aber sie hingen weiter in der Luft. Und Tony wusste seither, dass er seinen Eltern nicht länger vertrauen konnte – nicht was den schwulen Teil seines Lebens betraf. Die wenigen Liebesbriefe, die er bekommen hat, hebt er bei Joni auf, und Zeitschriften blättert er bei mir durch, anstatt sich selbst welche zu kaufen. Seine E-Mails schreibt er nur noch in der Schule oder bei Freunden; der Familiencomputer wird genau kontrolliert.
    Ich weiß, dass Tony der Lichtung immer noch ab und zu einen Besuch abstattet, um nachzudenken oder zu träumen. Wenn wir daran vorbeigehen, entbiete ich ihr jedes Mal einen stummen Gruß. Wir setzen uns dort nie ins Gras. Ich will in seine Einsamkeit nicht eindringen– aber ich will in der Nähe sein, wenn er beschließt, aus ihr herauszutreten.
    » Und wie läuft es mit Noah?«, fragt er mich jetzt. Wie immer haben wir den Weg bei unserer Wanderung für uns allein.
    » Gut. Ich habe Sehnsucht nach ihm.«
    » Hättest du ihn jetzt gerne hier?«
    » Nein.«
    » Gut.«
    Nach ein paar Schritten fragt Tony: » Und wie steht es mit Kyle?« Ich mag Tony unter anderem deswegen so gern, weil er seine Fragen nie mit einer Wertung verbindet.
    » Ich weiß nicht, was da bei ihm abläuft«, antworte ich. » Erst hat er mich geliebt, dann hat er mich nicht mehr geliebt. Jetzt braucht er mich. Wahrscheinlich braucht er mich bald nicht mehr.«
    Wir gehen ein paar Minuten schweigend nebeneinanderher. Aber ich weiß, das bedeutet nicht, dass Tony das Thema schon fallen gelassen hat.
    » Bist du dir sicher, dass das wirklich richtig ist?«, fragt er schließlich.
    » Ich glaube, es ist gut für ihn, wenn er sich öffnet«, sage ich.
    » Ich meine nicht für ihn. Ich meine für dich.«
    Ich bin verwirrt. » Er bittet mich um Hilfe. Warum sollte das schlecht für mich sein?«
    Tony zuckt mit den Schultern.
    » Der Punkt ist doch, dass ich diesmal nicht verletzbar bin«, erkläre ich. » Er bedeutet mir nicht mehr so viel.«
    » Hast du letztes Mal gewusst, dass du verletzbar warst?«
    Darauf kann ich sofort antworten. » Ja. Natürlich. Darum geht es ja, wenn man sich verliebt.«
    Tony seufzt. » Woher soll ich das wissen?«
    Wie ich mich in diesem Augenblick nach Noah sehne, so lebt auch in Tony eine Sehnsucht. Der Unterschied ist nur, dass seine Sehnsucht noch keinen Namen und Gesicht hat.
    » Eines Tages

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