Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
fühlen.
Flippern
Ich erzähle Joni alles.
Und dann erzählt sie alles Chuck.
Zwischen den Ereignissen dieser beiden Sätze vergehen mehrere Tage. Aber die Wirkung bleibt dieselbe.
Ich kriege es durch Infinite Darlene heraus. Was allein schon auf großen Ärger hindeutet, weil Infinite Darlene normalerweise so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Chuck zu legen versucht.
» Ach, Schätzchen«, sagt sie, » sie haben vor den Schließfächern darüber geredet.«
» Worüber geredet?«, frage ich.
Und da erzählt sie es mir: Sie haben über mich und Kyle und über mich und Noah geredet.
Dann kommt es noch schlimmer.
» Ich teile dir das nur zu deinem eigenen Besten mit«, flüstert Infinite Darlene mir zu. » Rip hat sich nämlich schon draufgestürzt.«
Rip ist der Buchmacher unserer Schule, er hat ständig die großen Wetten laufen. Seine Eltern besitzen mehrere Inseln, deshalb erlaubt es ihm sein Taschengeld, auf alles und jedes Wetten anzunehmen. Wie oft die Schulsekretärin in ihrer allmorgendlichen Durchsage das Wörtchen der benutzen wird. Wie viele Schüler zwischen der sechsten und der siebten Stunde am Klassenzimmer 303 vorbeigehen werden. Welche Farbe Trilby Pope im Monat April am häufigsten tragen wird. Auf lauter solche Ereignisse hat Rip als Buchmacher Wetten mit hohen Einsätzen laufen, und er könnte auch zahlen, wenn er sich verkalkuliert.
Er liebt es, darauf wetten zu lassen, wie lange Pärchen zusammenbleiben werden.
» Wie ist die Quote?«, frage ich.
Infinite Darlene zieht einen Schmollmund. » Liebling, das willst du nicht wirklich wissen, oder?«
» Will ich.«
Infinite Darlene seufzt. » Sechs zu eins, dass du in drei Wochen immer noch mit Noah zusammen bist, fünf zu eins, dass Kyle und du euch versöhnt, und zwei zu eins, dass du beides vermasselst und in drei Wochen wieder Single bist.«
» Worauf hast du gewettet?«
Infinite Darlene klimpert mit ihren künstlichen Wimpern. » Ein Mädchen verrät so was nicht«, zirpt sie. Dann ist sie verschwunden.
Ich frage mich, wie hoch wohl die Quote ist, dass auch Noah die Gerüchte gehört hat. Zwei zu eins? Wenn überhaupt?
Ich habe keinen Wandel seines Herzens bemerkt, kein plötzliches Misstrauen, keinen Argwohn. Und ich habe ihn in der vergangenen Woche oft gesehen. Wir waren jeden Tag verabredet. Am Mittwoch sind wir nach der Schule heimlich nach Big City gefahren, zu einer Vernissage ins Museum, um Leute zu gucken. Die Kunststudenten in ihren abgerissenen Jeans und Pullis standen wie intellektuelle Vogelscheuchen in der Gegend herum, während all die viel zu schönen Europäerinnen um sie herumglitten und sich in Sprachen unterhielten, die gleichzeitig blumig und bissig klangen. Den Donnerstag verbrachten wir mit Tony. Ich hatte das Gefühl, ihn schon Ewigkeiten nicht mehr gesehen zu haben. Noah und Tony scheinen ganz gut miteinander auszukommen, obwohl Noahs Anwesenheit natürlich unsere Hausaufgabenroutine etwas durcheinanderbrachte.
Wir haben uns auch wie verrückt geküsst. Die Stunden vergehen wie im Fluge, ohne dass wir es merken. Aber Noah und ich haben alle Zeit der Welt, weil es sich ausnahmsweise mal so anfühlt, als würde die Welt uns alle Zeit schenken, die wir brauchen.
Glücklicherweise muss ich nicht aus dem Leben aller anderen Menschen um mich herum verschwinden, um Teil von Noahs Leben zu werden. So ein Paar (siehe Joni und Chuck) wollen wir nämlich nicht sein. Ein paarmal habe ich mich sogar mit Kyle getroffen. Nur kurz. Es fällt schwer, sich jemandem zu entziehen, der einen braucht. Wir haben unsere Kommunikation auf Konversation begrenzt– aber die Tatsache, dass wir überhaupt miteinander reden, bedeutet sehr viel. Wenn wir auch noch nicht wissen, was.
Irgendwie fühle ich mich erleichtert, dass Noah und Kyle am Wochenende beide fort sind– Noah, um seine alten Freunde in der Stadt, in der er vorher gelebt hat, wiederzutreffen; Kyle, um eine kranke Tante zu besuchen.
Joni macht den Fehler, am Freitagnachmittag auf mich zuzusteuern, kurz nach meinem Gespräch mit Infinite Darlene. Chuck ist bei ihr. Dass sie nicht merkt, dass ich inzwischen weiß, dass sie ihm alles weitererzählt hat, ist noch erstaunlicher als die Tatsache, dass ich nicht gleich geahnt habe, dass sie ihm alles weitererzählen wird.
» Wir wollen Tony abholen«, sagt sie. » Kommst du mit?«
Das sind wahrscheinlich die einzigen Worte auf der Welt, die mich jetzt noch dazu bewegen können, mit ihr in ein Auto zu steigen.
Weitere Kostenlose Bücher