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Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders

Titel: Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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wird dein Prinz kommen«, versichere ich ihm.
    » Ja, und das Erste, was ich zu ihm sage, wird sein: ›Warum hast du so lang gebraucht? ‹ «
    Wir haben den steilsten Teil des Anstiegs erreicht und machen uns auf die Suche nach geeigneten Ästen, um sie als Stöcke zu benutzen– nicht weil wir sie wirklich brauchen, sondern weil es Spaß macht, mit ihnen zu wandern. Wir fangen an, in unserer eigenen Sprache zu reden ( » Sasquan helder figgelbarth?« – » Yeh, sesta.« – » Campsie!« ) und bleiben stehen, als Tony einen ungewöhnlichen Vogelruf hört, der ihn interessiert. (Der einzige Vogelruf, den ich kenne, ist das » BEEP BEEP« des flugunfähigen Roadrunners.)
    Tony späht begeistert zu einer hohen Baumkrone hinauf. Ich kann dort überhaupt nichts entdecken, aber Tony sieht hochzufrieden aus.
    » Ein Bohunk. Komischer Vogel. Kommt in dieser Gegend eigentlich gar nicht vor. Macht ihn nur noch rätselhafter.«
    Ich nicke. Rätsel mag ich.
    Wir wandern weiter.
    » Und was ist bei dir so los?«, frage ich.
    » Nicht viel.«
    » Und wie geht’s so?«
    » Prima.«
    » Rrrrrrrrrrrrrrrrr«. Ich mache den Buzzer einer Gameshow nach. » Tut mir leid«, sage ich, » aber ›prima ‹ wird als Antwort nicht akzeptiert. Das gilt als Gesprächsblockade. Du hast noch einen Versuch!«
    Tony seufzt wieder, aber diesmal nicht ganz so tief. Er weiß, dass ich ihn am Wickel habe. Wenn ich ihm auf eine Frage nach meinem Befinden mit » Prima!« antworte, reagiert er genauso.
    » Weißt du, ich hab in der letzten Zeit ziemlich viel über das Leben nachgedacht«, sagt er, » und ein Bild kommt mir dabei immer wieder in den Sinn. Stell dir vor, du überquerst eine viel befahrene Straße. Du siehst, dass ein Auto kommt, aber du weißt genau, dass du es vorher noch über die Straße schaffen kannst. Obwohl die Fußgängerampel auf Rot steht, marschierst du los. Und jedes Mal ist da dieser Bruchteil einer Sekunde, wo du dich zur Seite drehst und das Auto auf dich zurasen siehst und weißt, wenn du jetzt nicht weitergehst, dann ist gleich alles vorbei. So fühle ich mich in letzter Zeit häufig. Ich weiß, dass ich es schaffe. Ich hab es bisher immer geschafft. Aber das Auto rast ununterbrochen auf mich zu, und ich halte jedes Mal kurz an, um ihm entgegenzusehen.«
    Er lächelt mich traurig an. » Weißt du, manchmal wünsche ich mir, dein Leben zu haben. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das dann auch nicht so toll hinkriegen würde.«
    » Ich krieg es doch selbst nicht so toll hin.«
    » Ich finde, du schaffst es ganz gut.«
    » Du doch auch.«
    » Ich streng mich an.«
    Plötzlich muss ich an einen Bericht von vor einem Jahr in den Lokalnachrichten denken. Ein junger Footballspieler war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, es gab eine große Beerdigung, zu der natürlich auch alle aus seiner Mannschaft gekommen waren, und die Kameras zeigten diese riesenhaften, starken Kerle, alle in Tränen aufgelöst, wie sie nacheinander sagten: » Ich hab ihn geliebt. Wir haben ihn alle total geliebt.« Da habe ich auch zu heulen angefangen. Später hab ich mich gefragt, ob diese Kerle es ihrem Freund wohl auch schon gesagt hatten, als er noch lebte, ob sie ihm früher schon mal gesagt hatten, dass sie ihn liebten, oder ob sie dieses große Wort Liebe erst nach seinem Tod aussprechen konnten. Damals schwor ich mir, nie mehr zu zögern, den Menschen, die ich liebe, meine Liebe auch offen zu erklären. Sie verdienen es, zu wissen, dass sie meinem Leben Sinn geben. Sie verdienen es, zu wissen, dass ich riesengroße Stücke auf sie halte.
    » Du weißt, dass ich dich liebe«, sage ich jetzt zu Tony, nicht zum ersten Mal. » Du bist wirklich einer der tollsten Menschen, die ich kenne.«
    Tony kann keine Komplimente annehmen, und da komme ich ihm nun mit dem größten Kompliment, das ich machen kann. Er wischt es weg, macht eine Bewegung mit der Hand, die ich schon kenne. Aber ich weiß, dass er es gehört hat. Ich weiß, dass er weiß, wie gerne ich ihn mag und wie sehr ich ihn schätze.
    » Ich bin froh, dass wir heute hier sind«, sagt er.
    Und danach wechseln wir in eine andere Sprache– nicht unsere erfundene, gemeinsame Privatsprache oder die Sprache, die uns das Leben gelehrt hat. Während wir durch den Wald gehen und den Berg hochwandern, sprechen wir die Sprache des gemeinsamen Schweigens. Diese Sprache gibt uns Raum, um nachzudenken und anderswohin zu reisen. Wir können gleichzeitig hier und an einem anderen Ort

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