Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
unvertraut. Ich weiß sein Bemühen zu schätzen und gleichzeitig bin ich erleichtert, dass er es dabei belässt.
Ich weiß nicht, wie ich auf freundliche Zuwendung jetzt reagieren würde. Bei der Sache mit Joni habe ich Mitgefühl ja verdient. Aber bei der Sache mit Noah bin ich mir nicht so sicher.
Da ist noch etwas anderes, was Kyle mir sagen will, das spüre ich. Aber auch darüber verliert er kein Wort.
» Ich hab mir gedacht, wir könnten alle zusammen auf den Friedhof gehen«, sagt er stattdessen. » Unser ganzes Komitee. Um noch mehr Ideen für den Ball zu kriegen.«
» Was? Jetzt?«
» Nein, ähm… aber vielleicht morgen?«
Ich bin nicht in der Stimmung, um darüber lange zu diskutieren. Und wenn der Ball der Lustigen Witwe dieses Jahr wirklich das Thema Tod haben soll, dann kann es tatsächlich keinen besseren Platz geben, um sich dafür inspirieren zu lassen, als einen Friedhof.
Kyle geht davon, um die Nachricht von unserer morbiden Exkursion zu verbreiten. Ich versuche mich für den Rest des Schultags auf den Unterricht zu konzentrieren, was für mich eine total neue Erfahrung ist. Die Wörter, die in Geschichte an der Tafel stehen, gruppiere ich um, sodass sie ein Gedicht ergeben.
kein vertrag
aber viele gräben
still schweigend
jahr für jahr
heimat im niemandsland
Das hilft mir, die Zeit zu vertreiben, aber meine Stimmung wird dadurch nicht besser.
Nach der letzten Stunde biege ich um eine Ecke und sehe plötzlich weiter vorne Infinite Darlene und Noah miteinander reden. Ich bin so überrascht, dass mir fast die Bücher aus der Hand fallen. Schnell ziehe ich mich wieder zurück, um die beiden heimlich zu beobachten. Sie haben mich nicht bemerkt. Sie unterhalten sich nicht länger als eine Minute. Infinite Darlene legt die Hand auf Noahs Schulter und lächelt. Er lächelt zurück, wirkt etwas verwirrt. Seine Haare sind noch unordentlicher als sonst, sein T-Shirt steckt halb in der Hose, und ich wünsche mir zum ungefähr tausendsten Mal, ich könnte ungeschehen machen, was ich ihm angetan habe. Das Gefühl der Leere von ihm nehmen.
Sobald Noah verschwunden ist, bin ich mit einem Satz bei Infinite Darlene.
» Hast du etwa gelauscht, Schätzchen?«, fragt sie. » Du weißt doch, brave Mädchen lauschen nicht.«
» Was sollte das denn sein?«
» Was sollte was sein?«
» Warum hast du dich mit Noah unterhalten?«
» Hey, das ist hier ein freies Land.«
Das mit dem freien Land ist mit Abstand die lahmste Ausrede, die jemals erfunden wurde. Sie wird immer dann ins Feld geführt, wenn jemandem keine bessere Entschuldigung für irgendeinen Blödsinn einfällt, den er verzapft hat. Diese Phrase aus Infinite Darlenes Mund zu hören, ist nicht gerade vertrauenerweckend.
» Was heckst du da aus?«, frage ich barsch.
» Sprich nicht in diesem Ton mit mir«, fährt mich Infinite Darlene an. Ich bin wohl zu weit gegangen. » Du musst mir hier einfach mal vertrauen, okay?«
Ich wünschte, ich könnte ihr vertrauen.
Als Infinite Darlene merkt, dass ich nicht weiter darauf herumreiten will, hellt sich ihr Gesicht auf. » Ich hab gehört, dass du mit Joni reden wolltest. Danke für den Versuch.«
» Ich hab’s nicht für dich getan. Ich hab’s für mich getan.«
» Ich weiß. Aber wir müssen hier alle zusammenhalten. Gegen Chuck.«
Jetzt bin ich an der Reihe. » Kapierst du es denn nicht?«, fahre ich sie an. » Wir können hier nichts gewinnen. Wir können nicht gegen Chuck sein. Gegen Chuck sein ist im Moment dasselbe wie gegen Joni sein.«
» So sieht Joni das. Das heißt noch lange nicht, dass es auch so ist.«
» Aber wie sie es sieht, entscheidet nun mal darüber, wie es ist. Sie ist diejenige, die hier ansagen kann, was Sache ist.«
» Jetzt reg dich nicht so auf.«
» Was? Natürlich rege ich mich auf!«
» Aber das brauchst du nicht an mir auszulassen.«
» ICH LASS DAS NICHT AN DIR AUS! Manchmal dreht sich ausnahmsweise nicht alles um dich.«
» Für mich aber schon.«
» Aaaaaaaagrrrrrr!« Ich will nicht mit Infinite Darlene streiten. Sie weiß, dass ich nicht mit ihr streiten will. Deshalb schleudere ich meine Arme in die Luft, schreie meinen Frust heraus und drehe mich um. Im Weggehen höre ich sie hinter mir lachen– aufmunternd lachen.
Ich würde auch gerne lachen.
Aber ich kann nicht, und das tut weh.
To Bring You My Love
Nach der Schule streife ich ziellos durch die Stadt, die Sonne geht gleich unter, die Bäume werfen schon lange Schatten, und die Straßen
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