Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
vor, um die Schnürsenkel zu binden. Da höre ich, wie sie zurückkommt. Diesmal baut sie sich vor mir auf. Weil ihre Mutter in der Nähe ist, hat sie ihre Stimme zu einem Flüstern gesenkt.
» Wenn ich größer wäre«, verkündet sie, » würde ich dich windelweich prügeln.«
Dann stapft sie davon. Sie gibt mir keine Chance, dazu etwas zu sagen. Aber mehr als Tut mir leid würde ich sowieso nicht über die Lippen bringen.
Ich verlasse den Laden ohne die Stiefel– sie passen nicht richtig. Oder vielleicht passt auch meine Stimmung nicht. Ich habe jetzt den Randbezirk unserer kleinen Stadt erreicht und komme nur noch an Versicherungsbüros und Zahnarztpraxen vorbei. Ich setze meine Kopfhörer auf, aber ich kann mich nicht entscheiden, ob ich jetzt lieber Musik hören möchte, die meine Stimmung noch verstärkt, oder eine, mit der ich dagegen ankämpfen kann. Deshalb stelle ich das Radio an und beschließe, die Wahl dem Schicksal zu überlassen. Das Ergebnis ist, dass ich mir fünf Minuten lang Autowerbung anhören muss.
Novemberausverkauf in Warnock’s Autohaus! Absolute Tiefpreise für Chevrolets! … Bis zu Noah wären es zu Fuß nur zehn Minuten… Zahlbar in 36 Monatsraten … aber was hätte ich ihm zu sagen, außer » Es tut mir leid«? Eine andere Entschuldigung für mein Verhalten gibt es nicht… Greifen Sie jetzt zu! Das Angebot gilt nur noch bis zum Monatsende … Wie soll ich ihm nur klarmachen, dass er derjenige ist, für den mein Herz schlägt? Ja, so fühlt es sich an– mein Herz schlägt nur für ihn. Als sei es nur für ihn geschaffen.
Ich gehe. Ich bin ganz benommen von all den Worten, die ich ihm nicht sagen kann. Ich laufe. Ich schreie mich selbst an vor lauter Wut, dass alles so gekommen ist. Mit dem Schwinden der letzten Sonnenstrahlen gehen die Straßenlichter an. Ich renne. Ich renne schneller. Noch schneller. Ich will, dass mein Körper genauso abgekämpft und erschöpft ist wie mein Herz. Ich strenge mich noch mehr an. Ich kämpfe. Ich will die Schallmauer durchbrechen. Der Wind bläst mir entgegen. Die Dunkelheit löscht alle Schatten aus. Ich spüre einen ziehenden Schmerz in den Beinen, ein Stechen in meiner Lunge. Ich stolpere über den Bordstein. Ich werde langsamer. Ich keuche.
Ich bin zu Hause.
Nächtliches Telefongespräch mit Ted
» Gay Boy?«
» Ja.«
» Ich bin’s. Ted.«
» Hi.«
» Ich hoffe, es ist nicht zu spät.«
» Nein.« [Pause, um die Bettdecke zurückzuschlagen und das Licht neben dem Bett anzuknipsen.]
» Es ist wegen Joni.«
» Hab ich mir fast gedacht.« [Warum hätte er mich sonst anrufen sollen?]
» Ja.«
» Ja.« [So reden Jungs miteinander.]
» Ich krieg sie einfach nicht aus dem Kopf.«
» Schieß los.«
» Ich hab gehört, was du heute getan hast. Wie sie dich hat abblitzen lassen.«
» War nicht wirklich schön.«
» Das passt gar nicht zu ihr. Also ich meine, sie lässt andauernd Leute abblitzen. Aber doch nicht dich.«
» Ich weiß.«
» Ich finde, sie hat da eine Grenze überschritten.«
» Ich denke, das weiß sie.«
» Ja?«
» Ja.«
» Glaubst du wirklich?«
» Glaub ich.«
[Lange Pause, um nachzudenken.] » Ich denke die ganze Zeit darüber nach, was wir tun können. Ich überlege die ganze Zeit, was ich getan habe, und gleichzeitig weiß ich, dass ich gar nichts getan habe. Diesmal ist sie es. Und sie hört nicht auf damit.«
» Vielleicht hat sie sich einfach verändert.«
» Durch Chuck?«
» So was soll vorkommen.«
» Aber doch nicht Joni.«
[Irgendetwas ist da in Teds Stimme.] » Ted?«
» Ja?«
» Bist du betrunken?«
» Ich?«
» Ja.«
» Nicht wirklich.«
» Nicht wirklich?«
» Na ja, aber nur ein bisschen. Das kann einen schon traurig machen. So war das noch nie zwischen uns. Nein, Mann, es war noch nie so… so…«
» Schwierig?«
» Hart. Es war noch nie so hart. Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht total bescheuert, aber wenn wir früher miteinander Schluss gemacht haben, war das für mich irgendwie in Ordnung, weil ich das Gefühl hatte, dass es ihr ohne mich besser ging. Und vielleicht mir ohne sie auch. Aber diesmal hab ich überhaupt nicht das Gefühl, dass es ihr besser geht. Sie will mit ihren alten Freunden nichts mehr zu tun haben. Sie ist total auf Chuck fixiert. Und sie und ich– na ja, es ist nicht mehr da.«
» Was ist nicht mehr da?«
[ungeduldig] » Du weißt schon– der Funke. Diese Elektrizität. Das war immer zwischen uns da gewesen, selbst wenn wir wieder mal
Weitere Kostenlose Bücher