Nobels Testament
geräuschvoll und tupfte sich mit der Stoffserviette die Nase ab.
»Ich wünschte, ich wüsste es«, sagte sie. »Hätte Caro sich jemandem anvertraut, dann ganz bestimmt mir.«
Sie sah Ebba und Annika an, während sie sich die Nase putzte.
»Ich sage das nicht, um zu kokettieren«, fuhr sie fort. »Sie hat mit mir gesprochen, aber nicht gesagt, was mit ihr los war. Ich habe keine Ahnung, worum es ging.«
Birgitta rückte ihren Stuhl zurecht und kratzte sich am Kopf, sie trank einen Schluck Bier, dann richtete sie ihren Blick auf Annika.
»Hat sie wirklich nichts gesagt?«, fragte Birgitta. »Kein Wort? Nichts, was Sie vielleicht gehört, aber nicht verstanden haben?«
Sie fixierte Annika mit hellen Augen und kaute energisch auf einem Stück Fisch.
»Nein«, erwiderte Annika. »Caroline war innerhalb weniger Sekunden tot. Sie hat nicht mal nach Luft geschnappt.«
Annika nahm wieder ihr Besteck zur Hand und schaute auf ihr Essen.
Birgitta Larsén war eine schlechte Lügnerin.
Auf dem Heimweg saßen Ebba und Annika schweigend nebeneinander im Wagen. Es schien, als sei Birgitta Larsén irgendwie bei ihnen, als säße sie entmaterialisiert auf dem Rücksitz.
»Woher kennt sie dich?«, fragte Ebba schließlich.
Annika strich sich das Haar aus der Stirn.
»Am Tag nach dem Mord habe ich sie über Caroline interviewt«, antwortete sie. »Sie war einigermaßen außer sich, was ja ganz natürlich ist, und das Ganze endete damit, dass sie ziemlich aggressiv wurde.«
»Birgitta ist sehr speziell«, sagte Ebba. »Man weiß nie, woran man bei ihr ist. Sie kann verwirrt und oberflächlich wirken, und im nächsten Moment strahlt sie plötzlich Klarheit und Nähe aus.«
Annika nickte, das war ihr ebenfalls aufgefallen.
»Kannte sie Caroline von Behring wirklich so gut, wie sie behauptet?«
Ebba blinkte nach rechts und fuhr bei Danderyds Kirche von der Autobahn ab.
»Ich glaube, ja, man hat sie immer wieder zusammen im JJ gesehen. In ihrer Liga spielen nicht viele Frauen, da ist es wohl irgendwie klar, dass sie zusammenhielten.«
»JJ?«
»Jöns Jakob, das Personalkasino. Und sie haben gemeinsam Seminare organisiert, die sich ein wenig außerhalb der strengen Medizin abspielten. Da ging es dann beispielsweise um Führungsqualitäten oder Gleichstellung, sie standen sich schon ziemlich nah.«
Ebba schielte zu Annika hinüber.
»Also, was meinst du? Gibt es etwas zu berichten aus der Welt der Forschung?«
Erfrorene Forscher, Gebrüll in den Korridoren, Milliardenzuschüsse?
Annika nickte.
»Definitiv.«
Sie erreichten Djursholm, und die Sonne kam jetzt entschlossener hervor, die Farben wurden klarer. Annika betrachtete die palastartigen Villen, an denen sie vorbeifuhren. Dass sie wirklich hier wohnte!
»Denkst du manchmal darüber nach, welches Glück du gehabt hast?«, fragte sie Ebba.
Ebba setzte den Blinker und bog ab, sie schien über eine Antwort nachzudenken.
»Na ja«, sagte Ebba. »Natürlich habe ich Glück gehabt, aber auch Kampfgeist. Meine Mutter hat mir die Möbel und die Bücher hinterlassen, aber sonst auch nichts. Alles, was ich habe, musste ich mir erarbeiten. Niemals ist etwas umsonst, und je höher man kommt, umso mehr bezahlt man.«
Der Volvo bog in den Vinterviksvägen ein, und dort lag Annikas Haus blendend und weiß in der Nachmittagssonne.
»Über eine Sache habe ich viel nachgedacht«, sagte sie und wandte sich wieder Ebba zu. »Kannst du dir einen Grund vorstellen, warum Caroline ermordet wurde? Wer hatte denn ein Motiv, sie umzubringen? Fällt dir da irgendetwas ein?«
Ebba fuhr auf ihr Grundstück und schaltete den Motor aus. Stille erfüllte das Wageninnere.
»Es kann passieren«, sagte Ebba langsam, »dass der Preis unbezahlbar wird. Vielleicht ist es Caroline so ergangen.«
Sie öffnete die Fahrertür und stieg aus.
Annika überquerte die Straße mit dem Gefühl zu schwanken. Caroline war bei ihr, Birgitta Larsén schwebte über ihr, Ebba Romanova ging still hinter ihr.
Was geschah mit den Frauen in der Welt der Wissenschaft? Die Grenzen schienen dort deutlicher, die Reviere wichtiger und der Raum enger zu sein als irgendwo sonst.
Nur vier Prozent der Frauen, die promovierten, wurden später Professor, bei den Männern hingegen waren es acht Prozent. Sowohl Birgitta als auch Caroline hatten es noch weiter geschafft, noch weiter nach oben, Caroline hatte sogar am längsten Hebel gesessen.
Der Mord musste damit zu tun haben.
Es musste wichtig sein.
Annika wich den
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