Nobels Testament
Wasserlachen auf dem Rasen aus und steuerte auf die Haustür zu.
Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr, die ihren Blick zum Steingarten lenkte.
Dort stand Wilhelm Hopkins und grub ein Loch in ihren Rasen. Er stand mit dem Rücken zu ihr, neben ihm steckte eine Brechstange in der Erde. Gerade stemmte er sein ganzes Gewicht auf die rechte Kante des Spatens, und das Blatt versank im nassen Boden.
Annika erstarrte in der Bewegung und dachte zunächst, dass sie die Szene missdeutete.
Grub der Nachbar wirklich ein Loch in
ihren
Garten?
»Was machen Sie denn da?«, sagte sie, und ihre Füße bewegten sich wieder, völlig automatisch. Sie stürzte auf den grobschlächtigen Mann mit dem buschigen Haar zu.
Der Kerl ignorierte sie, warf den Spaten neben sich ins Gras und zog die Brechstange aus der Erde.
»Sind Sie nicht ganz
richtig
im Kopf?«, schrie Annika und ergriff die Stange. »Was fällt Ihnen ein, hier auf
meinem
Grundstück Löcher zu graben?«
Der Mann rang ihr die Brechstange mit solcher Kraft ab, dass er einige Schritte rückwärtstaumelte, er war hochrot im Gesicht, und seine Augen blitzten.
»Wir haben hier
immer
unseren Mittsommerbaum«, sagte er heiser. »In all den Jahren, seit ich klein war, haben wir hier,
genau hier,
gefeiert. Und jetzt kommen Sie und verlangen, dass diese Tradition gebrochen wird?«
»Aber die Gemeinde hat doch das Grundstück schon vor langer Zeit verkauft«, wandte Annika flehend ein und hob die Arme. »Wir wohnen jetzt hier, das ist unser Zuhause. Sie können nicht einfach so reinmarschieren und unseren Rasen umgraben, nur weil Sie das schon als Kind so gemacht haben. Das ist ja total krank!«
Der Nachbar machte einen großen Schritt auf sie zu, so schnell und hitzig, dass Annika eine abwehrende Bewegung machte und fast in die Grube fiel.
»Wir feiern hier Mittsommer«, sagte er mit Nachdruck und betonte jedes Wort. »Das ganze Viertel, ob Ihnen das passt oder nicht. Wir sind nicht gefragt worden, ob wir damit einverstanden sind, dass dieses Grundstück verkauft wird.« Er griff nach seinem Spaten und der Stange und wandte sich zum Gehen.
»Warum haben Sie es denn nicht gekauft, wenn Sie es so gern haben wollten?«, sagte Annika.
Der Mann fuhr herum.
»Es hat mir gehört!«, schrie er. »Warum sollte ich dafür bezahlen?«
Er drehte sich um und schlurfte breitbeinig über ihren Rasen davon.
Annika blieb stehen und starrte ihm hinterher, und erst als er um die Hausecke gebogen war, merkte sie, wie sie bebte. Ihr Puls hämmerte so wild in ihrem Hals, dass sie kaum Luft bekam. Sprachlos ging sie ein paar Schritte hinter ihm her, den Kopf völlig leer.
Wie konnte das sein? Wie konnte man sich so benehmen?
An der Hausecke blieb sie stehen und folgte mit dem Blick den Reifenspuren, die durch das Loch in der Hecke zum Grundstück des Mannes führten.
Im selben Moment sprang ein Automotor an, und zwei Scheinwerfer blendeten sie.
Wilhelm Hopkins legte einen Gang ein, trat in seinem großen Mercedes aufs Gas und fuhr schnurstracks auf ihren Rasen. Das Wasser, das sich in den Reifenfurchen gesammelt hatte, spritzte an den Kotflügeln hoch, es bildete Kaskaden um die Reifen.
Ohne von Annika Notiz zu nehmen, fuhr er so dicht an ihr vorüber, dass ihr der Schlamm bis zu den Oberschenkeln spritzte.
Ich bringe ihn um, dachte Annika, als seine Rücklichter zwischen ihren Torpfosten verschwanden.
@ Betreff: Enttäuschungen
Empfänger: Andrietta Ahlseil
Im Sommer 1889 entwirft Alfred Nobel sein erstes Testament. Er verrät Sofie Hess von seinem Plan:
Niemand wird mich vermissen. Nicht einmal Bella, der Hund, wird eine Träne vergießen. Dennoch ist sie vermutlich die Ehrlichste von allen, da sie nicht nach hinterlassenem Gold schnüffeln wird. Im Übrigen werden die lieben Menschen in dieser Hinsicht gründlich enttäuscht werden. Ich freue mich im Voraus an all den großen Augen und den vielen Verfluchungen, die das Fehlen von Geld verursachen wird.
Alfred, Alfred – Sofie ist nicht die Person, der man sich anvertraut! Wann wirst du das einsehen?
Denn Sofie jammert, sie beklagt sich mehrfach über das Testament, als Alfred noch lebt.
Drei Mal formuliert er seinen Letzten Willen um. Drei Mal, und er schreibt ihn selbst. Von Anwälten hält er nichts, er nennt sie Formalitätsparasiten.
Alfred möchte von Herzen handeln, und das tut er. Am 27. November 1895 unterzeichnet er sein gültiges Testament.
Das Dokument ist knappe vier Seiten lang, handgeschrieben und in
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