Nobels Testament
untergebracht und mich nicht mit einbezogen!«
Annika sah verwundert vom einen zum anderen.
»Hm«, sagte Ebba leise, »gekränkte Eitelkeit, glaube ich, und das ist wohl meine Schuld …«
»Aber, Lars-Henry«, sagte Birgitta Larsén, »mit diesen Sachen befasse ich mich nicht, das weißt du. Worum geht es?«
»Meine Doktorandin wird als Mitautorin des Artikels genannt, ich aber nicht. Als ihr Doktorvater! Wie zum Teufel konnte das passieren?«
Ebba reichte das Paket an Annika weiter und machte einen Schritt auf den Mann zu.
»Das habe ich entschieden«, sagte sie. »Ich habe mir erlaubt festzustellen, dass Sie zu diesem Forschungsprojekt nichts beigetragen haben, und deshalb sind Sie auch nicht Unterzeichner des Resultats.«
»Nur weil ich aus der Versammlung geworfen wurde!«, kreischte der Mann und baute sich vor Ebba auf. »Ihr versucht mich zu erniedrigen, wo immer es euch möglich ist, aber ihr solltet euch in Acht nehmen!«
»Ich habe Sie aus keiner Nobelversammlung geworfen«, sagte Ebba ruhig. »Ich habe lediglich festgestellt, dass Sie in den vergangenen vier Monaten so gut wie gar nie hier waren.«
Der Mann hob seinen starren Blick und bedachte nun Annika damit.
»Stecken Sie hinter alldem?«, fragte er keuchend.
»Sie ist Journalistin beim
Abendblatt
«
,
sagte Birgitta Larsén, ohne Annika anzusehen. »Ich habe keine Ahnung, was sie hier zu suchen hat, aber darum werde ich mich kümmern, sobald du aufgehört hast, hier herumzuschreien.«
Lars-Henry Svensson deutete mit dem Papier auf Annika und Ebba.
»Ihr solltet euch ganz schön in Acht nehmen«, sagte er. »Ihr ignoriert Nemesis, allesamt, aber denkt daran! Denkt daran, dass ich euch gewarnt habe!«
Und mit großen Schritten ging er zur Ausgangstür und verschwand.
»Worum ging es denn?«, sagte Annika, als die Tür hinter ihm zugefallen war.
Sie hielt noch immer das große Paket im Arm. Ebba nahm es ihr wieder ab.
»Ich kümmere mich mal hier drum«, sagte sie und ging um die nächste Ecke.
Birgitta Larsén betrachtete Annika eingehend.
»Haben Sie geglaubt, ich würde Sie nicht wiedererkennen? Natürlich habe ich das. Was machen Sie hier?«
Annika sah die kleine Frau an, ihr Blick war hell, sehr klar und sehr ernst.
»Caroline war nicht überrascht, als sie erschossen wurde«, sagte Annika. »Ich war dort, auf der Tanzfläche, neben ihr, sie sah mich an, als sie starb. Ich werde das nicht los, ich träume nachts von ihr.«
Sie wunderte sich über die Glut in ihrer Stimme.
Birgitta Larsén stand bewegungslos vor ihr und hielt ihrem Blick stand.
»Was träumen Sie?«, fragte sie sehr leise.
»Caroline versucht mir etwas zu sagen«, sagte Annika und senkte die Stimme. »Sie will mir etwas sagen, aber ich verstehe sie nicht. Was könnte das sein?
Was?
«
Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und biss sich auf die Unterlippe, verdammt, was war sie für eine Heulsuse geworden.
»Wir essen eine Kleinigkeit«, sagte Birgitta Larsén, wandte sich auf dem Absatz um und ging den Flur hinunter. »Holen Sie Ebba, dann gehen wir rüber in den Svarta Räfven.«
Sie verließen das Gebäude durch den Haupteingang und traten hinaus in die noch schwache Sonne. Die Rasenflächen rundherum leuchteten in erwartungsvollem Hellgrün, und das junge Laub tanzte in den Baumkronen. Ebba und Birgitta unterhielten sich weiter über die abhandengekommene Lieferung Antikörper und darüber, welcher Schritt im Reklamationsverfahren als nächster anstand. Annika trabte hinterher und schaute sich um.
Es war schön hier. Die schmalen Straßen, die schweren Fassaden und die großzügige Bepflanzung erinnerten ein wenig an Filme vom Arnika-Campus an der amerikanischen Ostküste.
Der Fakultätsklub Svarta Räfven lag am Rande des Geländes im Nobels väg 6A, unweit des Nobel-Forums, wo Annika mit Bosse gewesen war.
Ihr wurde heiß, sie hatte ihm noch immer keinen Termin für eine Tasse Kaffee in der nächsten Woche vorgeschlagen.
Im Verlauf des Frühlings hatten sie sich einige Male getroffen, gesittete Treffen in einem Café, vollkommen unschuldig, kein unangemessenes Wort war gefallen.
Wollte sie, dass es so weiterging? Wollte sie ihn überhaupt treffen? Wollte sie mehr?
Sie wusste es nicht, war nicht in der Lage, ihre Gefühle zu unterscheiden: Erwartung, Scham, Erregung, Freude, Unruhe.
»Der liebe Lars-Henry«, sagte Birgitta Larsén, »er ist völlig cholerisch geworden.«
Mit ein paar eiligen Schritten stieg sie eine Steintreppe
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