Nobels Testament
Schwedisch verfasst. Über drei Seiten erstrecken sich detaillierte Verfügungen, welcher der
lieben Menschen
was erhalten soll. Ungefähr eine Seite behandelt den neuen Preis, den er stiften will und der aus seinem enormen Vermögen finanziert werden soll.
Das Testament wird bei der Stockholms Enskilda Bank hinterlegt. Es ist schief und krumm, und am Rand ist etwas hingekritzelt. Am 15. Dezember 1896, fünf Tage nach Alfreds Tod, wird es eröffnet. Und niemand bricht ob des Inhalts in Jubel aus. Niemand. Niemand.
Im Gegenteil, alle sind enttäuscht. Die Verwandten fühlen sich gramvoll enttäuscht, nahezu bestohlen. Er hinterlässt seinen Neffen eine Million Kronen,
eine Million im Geldwert der damaligen Zeit, das ist schwindelerregend,
aber sie wollen noch mehr haben, viel mehr. Und so prozessieren sie über mehrere Jahre, und sie haben Erfolg, sie schwimmen im Geld, Zinsen der Erbmasse aus eineinhalb Jahren. Und sie verlassen das Grab des Onkels, verbissen triumphierend zählen sie die Scheine in ihren Händen.
Der zukünftige Erzbischof Nathan Söderblom ist enttäuscht. Er hat an Alfreds Grab in San Remo gesprochen, dennoch bekommt er kein Krankenhaus, wie er gehofft hatte.
Sogar der schwedische König Oscar II. ist würdevoll beleidigt und bezeichnet das Unterfangen, einen Preis zu stiften, der nicht einfach nur die Schweden belohnt, sondern sogar
Ausländer,
als
unvaterländisch.
Der zukünftige Ministerpräsident Hjalmar Branting, Chefredakteur der Zeitschrift
Der Sozialdemokrat,
nennt die Stiftung
rundum verpfuscht.
Aber Alfred hat sich Gedanken gemacht und nachgedacht. Fünf Preise sollen verliehen werden, verfügt er, fünf Preise entsprechend seines Lebenswerks und seiner Leidenschaft: für Physik, Chemie, Medizin, Literatur und – von allem vielleicht am sonderbarsten – für den Frieden.
Seine Frauen sind auch dabei, die beiden Frauen, die in seinem Leben am wichtigsten gewesen waren, werden in seinem Testament berücksichtigt, wenn auch auf völlig unterschiedliche Weise. Hier ist sie wieder, die Frau, die er nie bekam. Er erwähnt sie nicht namentlich, aber er überlässt ihr das Größte, das er hat: den Auftrag an das norwegische Parlament, in der Zukunft bei jeder Preisverleihung denjenigen auszuzeichnen,
der sich am meisten oder am besten für die Verbrüderung der Völker eingesetzt, der zur Abschaffung oder Reduzierung stehender Heere beigetragen hat ebenso wie zur Bildung und Austragung von Friedenskonferenzen.
Bertha Kinsky, verheiratete von Suttner, die schöne Gräfin aus dem Grand Hotel in Paris, die Aktivistin, die berühmt wird für ihren Einsatz für den Frieden. Sie wird die zweite Frau, die jemals einen Nobelpreis erhält (Friedensnobelpreis 1905, die erste ist Marie Curie, die 1903 den Preis für Physik bekommt).
Sofie Hess, nunmehr Frau Kapy von Kapivar, wird namentlich genannt, und von allen Enttäuschten ist sie die am gräulichsten Übersehene. Das Testament gesteht ihr jährlich eine halbe Million Kronen auf Lebenszeit zu, doch Sofie will mehr, sie verlangt viel, viel mehr, und sie hat noch Asse im Ärmel, 218 Stück: Alfreds Briefe, die er über die Jahre an sie geschrieben hat. Sie nimmt Kontakt mit dem Testamentsvollstrecker Ragnar Sohlmann auf, sie schmeichelt, sie fleht, sie lockt. Sie hat so viele Schulden, und die lasten so schwer, so schwer, dass sie zu Boden gedrückt wird, kann das nicht aus dem Nachlass bezahlt werden? Als das nicht funktioniert, droht sie:
218 Briefe. Sie wolle ja nicht, dass jemand anders sie lese, ein Außenstehender, es sei schändlich, wenn das passiere. Das wolle sie wahrlich nicht, aus Rücksicht auf den guten Ruf des verschiedenen Herrn Nobel …
Eine Million Kronen will sie. Ansonsten verkauft sie die Briefe, die Skandalbriefe, an den Meistbietenden. Und Sohlmann bezahlt. Die Erpressung geht auf.
So endet Sofie Hess’ lang währender Kontakt mit Alfred Nobel. Es gelingt ihr, ihn auch nach seinem Tod auszunutzen.
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Samstag, 29. Mai
Das Kätzchen räkelte sich in der Sonne und ließ das Poolwasser auf das Handtuch tropfen. Um sie herum rannten und grölten die Kinder pausenlos, sie schrien einander in ihrem verklemmten britischen Privatschulenglisch an (sie sah sie immer morgens, wenn sie in glänzenden Landrovern davonfuhren, hinter dem Steuer ihre sonnenverbrannten kleinen Mamas, die Kinder in Schuluniformen mit weißen Kragen,
my ass).
In diesem Komplex hatten sich zu viele Leute fest niedergelassen, sie würde bald umziehen
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