Nobels Testament
Zellkulturmedien vermischen. Die Flaschen sehen ja alle gleich aus.«
Sie schloss die Schranktür wieder und ging zu einem Eimer mit Deckel.
»Hier bewahre ich die Zellen auf, wenn ich sie nicht benutze«, sagte sie, schraubte den Deckel auf und zog den Stöpsel heraus.
»Das ist flüssiger Stickstoff, minus 196 Grad Celsius.«
Weißer Eisnebel stieg aus dem Behälter auf. Instinktiv wich Annika ein Stück zurück.
»Wo wir gerade von Kälte sprechen«, sagte sie, »kann ich mir den Kühlraum ansehen?«
Ebba drückte den langen Kunststoffpfropfen wieder in die Öffnung und verschraubte den Deckel.
»Natürlich«, sagte sie. »Der liegt einen Gang weiter. Wir müssen uns rausschleusen.«
Der Kühlraum befand sich ganz am Ende einer Abteilung, in die überhaupt kein Tageslicht mehr drang. Die Schatten der umliegenden Räume zeichneten lange Muster an die Wände.
»Hier siehst du, dass Licht und Temperatur von außen geregelt werden«, sagte Ebba und deutete auf ein großes Kontrollbord rechts neben der Tür. Ein Display zeigte an, dass die Temperatur im Inneren derzeit bei minus fünfundzwanzig Grad lag.
»Was hat er dort drin gemacht?«
»Er wollte sicher etwas holen«, sagte Ebba. »Wir bewahren hier eine Menge Proben und anderen Kram auf, Blutabfälle zum Beispiel. Wir können ja mal hineingehen, aber ich warne dich, es ist wirklich kalt.«
Sie stellte den Lichtschalter auf
on
und zog die Tür auf. Die Kälte schlug ihnen entgegen, und Annika schnappte nach Luft.
»Ich glaube, wir lassen die Tür auf«, sagte Ebba.
Der schmale Raum war auf beiden Seiten von Regalen gesäumt. Flaschen und Schachteln und Kartons stapelten sich bis zur Decke, jeder Zentimeter schien ausgenutzt zu sein.
»Wie in aller Welt konnte es geschehen, dass er nicht mehr rauskam?«, fragte Annika und kämpfte gegen die Platzangst.
»Der Notschalter hat nicht zum ersten Mal gestreikt. Ich wäre auch beinahe einmal hier dringeblieben«, sagte Ebba. »Außerdem wird getratscht, dass er getrunken und noch irgendwas anderes genommen hatte, wahrscheinlich hatte er nicht alle Sinne beisammen.«
Annika blickte sich im Raum um, sie würde es hier nicht viel länger aushalten.
»Aber es gibt doch einen Alarmknopf«, sagte sie und deutete auf einen Schalter ganz hinten am Boden. »Warum hat er nicht daraufgedrückt? Und warum hat er nicht geschrien, dass jemand ihn hören und ihm aufmachen konnte?«
»Er war am Samstagabend ganz allein hier, sein Labor war das einzig gebuchte.«
Annika sah Ebba an und konnte nicht umhin zu fragen:
»Woher weißt du das?«
Ebba hielt inne und schaute sie ein paar Sekunden still und nüchtern an.
»Der Belegplan hängt an der Tür vor der Schleuse«, sagte sie leichthin. »Jeder, der weiß, wie man ihn liest, kann das wissen. Sollen wir wieder rausgehen?«
Annika kehrte eilig in den Korridor zurück und atmete leise und erleichtert auf, als die Tür zufiel. Einen Augenblick später brach hinter ihnen Lärm los. Ebba machte einen hastigen Schritt zur Seite, ein Mann in grauem Kittel stürmte dicht an ihnen vorbei.
»Birgitta!«, brüllte er, dass es durch den Flur dröhnte.
»Gütiger Himmel«, sagte Annika, »was ist denn jetzt los?«
Der Mann blieb vor einem Labor stehen und starrte durch die runde Glasscheibe.
»Birgitta«, schrie er, »du elende Mitläuferin! Ich weiß, dass du hier bist!«
Birgitta Larsén kam aus einem Raum ein Stück weiter den Flur hinunter. Sie hielt ein Paket im Arm.
»Lars-Henry, mein Lieber«, sagte sie, »nicht so stürmisch. Was willst du?«
Annika erkannte den Mann wieder. Es war der Professor, der im vergangenen Winter den wirren Leserbrief im
Abendblatt
verfasst hatte und später aus der ereignisreichen Pressekonferenz getragen worden war.
Birgitta Larsén ließ den wütenden Mann stehen und kam wieder auf Ebba zu.
»Das hier muss an dieselbe Adresse, mein Schatz. Wann erwartest du Antwort wegen der Reklamation?«
»Glaub nicht, dass du so einfach davonkommst«, rief der Mann. Er schwenkte einen Computerausdruck und folgte der rothaarigen Frau. »Ich erwarte hierfür eine Erklärung!«
Mit unbeteiligter Mine nahm Ebba das Paket entgegen.
»Aber, mein Kleiner«, sagte Birgitta Larsén und schaute zu dem Mann auf, der mindestens dreißig Zentimeter größer war als sie.
»Warum bist du denn so aufgeregt?«
»Ich habe einen Newsletter von
Pubmed
bekommen und das hier gefunden«, sagte er. »Ihr habt im
Journal of Biological Chemistry
einen Artikel
Weitere Kostenlose Bücher