Nobels Testament
hinauf und hielt Ebba und Annika die massive Kupfertür zum Fakultätsklub auf.
»Eitel ist er schon immer gewesen«, fuhr sie fort, »aber vor ein paar Jahren hätte er wegen einer Signatur unter einem kleinen Forschungsergebnis noch nicht so ein Tamtam veranstaltet. Und warum, liebe Ebba, hast du ihn nicht dazugenommen? Ich war doch auch dabei. Was hättest du dir vergeben, wenn du ihn mit einbezogen hättest?«
Ebba streckte den Hals, sodass er noch gerader aussah.
»Das ist eine rein prinzipielle Entscheidung«, sagte sie. »Cilla, seine Doktorandin, hat das ganze Frühjahr über versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen, aber er hat nie von sich hören lassen. Sie ist ziemlich verzweifelt gewesen. Irgendwann muss man auch Verantwortung für sein Verhalten tragen, auch wenn man ein Mann und Professor ist …«
Birgitta Larsén winkte einen Kellner in Livree heran.
»Haben Sie einen Tisch für drei? Hervorragend. Gern auch am Fenster. Nein, nicht diesen. Gut, dann setzen wir uns hier drüben in die Ecke, oder was meinen die Damen?«
Sie seufzte, als sie sich gesetzt und die Stoffserviette auf ihrem Schoß ausgebreitet hatte.
»Eigentlich ist es nicht möglich, auf eine solche Art und Weise wie Lars-Henry ausgeschlossen zu werden«, sagte sie, »aber die Versammlung hat es trotzdem getan. Ich verstehe, dass er verbittert ist. Das wäre ich an seiner Stelle auch.«
Sie schlug die Hände zusammen und rieb sie.
»Aber das passiert mir nun nicht, denn ich bin befördert anstatt hinausgeworfen worden. Ich nehme die Forelle, die ist immer himmlisch. Und ein Leichtbier, bitte.«
»Was hat es mit dieser Nemesis auf sich, von der er die ganze Zeit tönt?«, fragte Annika und bestellte ebenfalls die Forelle.
»Sie stammt aus der griechischen Mythologie, sie ist ein unendliches Universum aus Vorstellungen von Verbrechen und Strafe, Ursache und Wirkung, Ungerechtigkeiten und Rache. Im Grunde glaube ich, dass Lars-Henrys Reaktion auf seine Skepsis gegenüber dem Darwinismus zurückgeht. Er gehört einer Gruppe an, die will, dass die Wissenschaft mehr Respekt vor Gott hat, die sogenannten Kreationisten.«
»Ja, unglaublich«, seufzte Birgitta.
Annika starrte Ebba einen Moment lang an. Mehr Gott in der Wissenschaft?
»Die Anhänger des Kreationismus behaupten, dass das Universum so entstanden ist wie im ersten Buch Moses beschrieben. Sie fordern, dass in Wissenschaft und Bildung die Schöpfungsgeschichte als gleichwertiger und paralleler Referenzrahmen zum Darwinismus bestehen soll.«
»Sie verstehen sicher, dass man sie nur schwer ernst nehmen kann«, sagte Birgitta und verdrehte die Augen.
»Sie sind befördert worden?«, fragte Annika.
»Ja, von der Versammlung ins Komitee, als Nachfolgerin von Caroline. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Annika schüttelte den Kopf.
»Die Aufgabe der Versammlung ist es, in jedem Jahr einen Nobelpreisträger in Medizin zu wählen. Sie besteht aus fünfzig Mitgliedern, alle Professoren am KI. Das Komitee ist das ausführende Organ, fünf Mitglieder plus Vorstandsvorsitzender und Stellvertreter. Es ist allgemein bekannt, dass die eigentlichen Beschlüsse im Komitee gefasst werden.«
»Ich habe gehört, dass es ein wenig Unruhe wegen Carolines Nachfolge als Vorstandsvorsitzende gab«, sagte Annika und dachte an den Beitrag von Pelle Svanslös im Internetforum.
Das Essen und die Getränke wurden gleichzeitig serviert, Birgitta Larsén nahm ein paar große Schlucke Bier.
»Wir wollten jemanden haben, der in Carolines und Nobels Sinne weiterarbeitet, keinen Opportunisten, der gleich dorthin rennt, wo am besten bezahlt wird.«
»Harte Worte«, sagte Ebba und filetierte ihren Fisch.
»Wahre Worte«, sagte Birgitta. »Sören Hammarsten ist keine moralische Führungsfigur. Es ist unser ewiges Glück, dass Ernst übernehmen konnte. Aber sagen Sie mir, Frau Bengtzon, was sagen Sie da über Caroline? Dass Sie nachts mit Ihnen spricht?«
Annika lieb ihr Besteck sinken und blickte auf ihren Teller.
»Ich verstehe, dass es sich wirr anhört«, sagte sie, »aber ich kann die Erinnerung an Carolines Blick nicht aus meinem Gedächtnis löschen. Sie hat mich angesehen, mich direkt, ich habe ihr in die Augen geschaut, als sie starb, und es war, als
wüsste
und
verstünde
sie. Es war so schrecklich grauenvoll, zuzusehen und nichts tun zu können…«
Tränen stiegen ihr in die Augen und liefen über, und zu ihrer Verwunderung sah sie auch Birgitta Larsén weinen. Die Professorin schluchzte
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