Nobels Testament
Tränen überflossen.
»Oh, mein Gott«, sagt Birgitta Larsén.
»Nun sind Ihre Tiere tot, verstehen Sie das, Birgitta? Ist das eine Warnung? Was wissen Sie, Birgitta, das so gefährlich ist?«
Die Professorin zwinkerte einige Male, dann verzog sich ihr Gesicht, und sie vergrub es in den Händen und weinte. Annika wartete still, bis sie sich wieder beruhigte.
»Das hat damit nichts zu tun«, sagte Birgitta Larsén schließlich. »Es ist schon so lange her, und außer Caro und mir weiß niemand davon, es geht nur uns etwas an, nur wir …«
»Was?«, fragte Annika.
Birgitta Larsén seufzte tief und ließ die Schultern sinken.
»Ich möchte nicht, dass Sie das veröffentlichen«, sagte sie. »Es würde Caros Andenken in ein falsches Licht rücken und meiner Karriere schaden.«
Ihre Stimme klang anders, tiefer und ruhiger.
»Sie sind meine Quelle«, sagte Annika. »Sie sind durch die Verfassung geschützt. Ich schreibe nichts ohne ihre ausdrückliche Zustimmung.«
Birgitta Larsén nickte und zerknüllte das Taschentuch in ihren Fingern.
»Es ist nicht leicht für mich«, sagte sie. »Ich habe zwanzig Jahre lang geschwiegen.«
Annika antwortete nicht.
Die Professorin holte tief Luft, schloss einen Moment die Augen und sammelte sich.
»Caros großer, internationaler Durchbruch kam mit der Weiterentwicklung der Entdeckung von Hood und Tonegawa. Der Identifikation der genetischen Grundlage von Immunoglobulinen«, ergänzte sie still. »
Science
hat Caros Forschung im Oktober 1996 publiziert. Aufgrund dieses Artikels wurde sie Professorin und Mitglied in der Nobelversammlung.«
Annika nickte, daran erinnerte sie sich.
»Das Problem war nur, dass
Science
die erste Version ihres Textes nicht annahm«, fuhr Birgitta Larsén tonlos fort. »Sie verlangten, dass Caro die Resultate noch einmal überprüfte, eine reine Routinesache. Aber sie wusste, dass die Ergebnisse stimmten.«
»Genau wie in Ernsts Fall, als es um die MS-Forschung ging«, sagte Annika.
»Eben«, sagte Birgitta, ohne aufzusehen. »Warum sollte sie also drei Monate für etwas verschwenden, dessen sie sich bombensicher war?«
Als Annika Birgitta Larséns Blick begegnete, wurde ihr alles klar.
»Caroline hat gepfuscht«, sagte Annika. »Sie hat die Tests nicht noch einmal gemacht, sondern ein gefälschtes Ergebnis geschickt.«
Birgitta Larsén senkte wieder den Blick und nickte.
»Es war ja nicht so, als wäre ihre Forschung unvollständig oder fehlerhaft gewesen. Alles stimmte. Sie hat einfach nur die Routinekontrolle übersprungen. Und nicht sie hat die Ergebnisse fabriziert, sondern ich. In der betreffenden Woche war Caro auf einer Konferenz in Helsinki, deshalb habe ich ihre Versuchsresultate ausgefüllt und verschickt.«
Annika starrte Birgitta Larsén an und konnte nicht glauben, was sie da hörte.
Wenn man so viele Jahre an etwas gearbeitet hatte, wie konnte man am Schluss ein solches Risiko eingehen?
»Warum?«, fragte sie.
Birgitta schnauzte sich.
»An ihren Forschungsergebnissen war nichts verkehrt«, sagte sie. »Caro wusste, dass sie absolut wasserdicht waren. Die Leute bei
Science
waren einfach übereifrig, und sie wollte die Konferenz in Finnland nicht verpassen.«
»Aber irgendjemand ist Ihnen auf die Schliche gekommen«, sagte Annika.
Birgitta zögerte, dann nickte sie.
»Ich weiß nicht, wer, das hat Caro nie verraten. Aber um diese Person zum Schweigen zu bringen, hat sie etwas gemacht, für das sie sich sehr schämte. Ich habe allerdings keine Ahnung, was.«
»Caroline wurde erpresst«, sagte Annika.
Birgitta seufzte und nickte wieder.
»Ich weiß nicht, wann es passierte, aber die betreffende Person muss sich wieder gemeldet haben. Und zwar kurz vor ihrem Tod.«
»Wieso glauben Sie das?«, fragte Annika.
»Im Herbst hat sie mal gesagt, dass sie sich nicht mehr drohen ließe. ›Nicht noch einmal‹, hat sie gesagt. Sie habe sich einmal erschrecken lassen, aber das würde ihr nicht wieder passieren.«
»Wann war das?«
»Unmittelbar nachdem die Preisträger bekannt gegeben worden waren, Wiesel und Watson.«
»Sind die beiden eigentlich schwul?«, fragte Annika. »Und ein Paar?«
Die Professorin sah sie konsterniert an.
»Natürlich«, sagte sie. »Wussten Sie das nicht?«
»Verzeihung«, sagte Annika. »Wir schweifen ab. Was passierte dann?«
Birgitta Larsén fuhr sich mit den Fingerspitzen über die Stirn.
»An dieser Stelle wird es verzwickt«, sagte sie. »Ein paar Wochen vor ihrem Tod hat Caro mir
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