Nobels Testament
Redaktionssofa sinken.
Spiken legte mit einem Knall den Hörer auf und krallte sich ein paar Ausdrucke.
»Neuer Jihad«, sagte er, »muslimische Terrorgruppe mit Sitz in Deutschland. Der Staatsschutz hat auf so etwas nur gewartet. Vor einer halben Stunde haben die Terroristen auf einem Server in Berlin ein Bekennerschreiben hinterlegt, in dem sie die Verantwortung übernehmen für ›den Mord an dem jüdischen Faschisten und Zionisten Aaron Wiesel, einem Untreuen, der den Tod verdient‹. Das scheinen neue, einfallsreiche Burschen zu sein, und wenn man bedenkt, was sie bislang zustande gebracht haben, muss man wohl auch in Zukunft mit ihnen rechnen. Patrik steht mit dem Terroristenexperten Ranstorp in Kontakt, wir versuchen, einen Überblick über frühere Attentate der Gruppe zu bekommen und herauszufinden, wie eng die Verbindung mit al-Qaida ist.«
»Eines stimmt dabei allerdings nicht«, sagte Annika Bengtzon.
Annika und Berit hatten ihre Jacken auf seinen nassen Mantel gelegt und sich an zwei Redakteursplätzen am Kopfende des Newsdesks niedergelassen.
»Was?«, fragte Patrik.
»Wiesel ist nicht gestorben«, sagte Berit.
Spiken stockte und sah sie mit einer Verwunderung an, die fast an Bestürzung reichte.
»Scheiße noch mal«, sagte er, »das ist doch Kleinkram.«
»Nicht für Wiesel«, sagte Annika. »Das kann ich dir garantieren.«
Schyman betrachtete sie aus dem Augenwinkel und beschloss, sich nicht einzumischen.
Spiken machte eine fahrige Handbewegung.
»Was weiß denn ich? Vielleicht haben sie ihr Schreiben bevor dem Attentat verfasst, und danach war es nicht mehr zu ändern. Und außerdem ist es ihnen ja gelungen. Sie haben sich reingeschlichen und ihn während der Nobelpreis-Gala erschossen.«
»Vor«, sagte Berit. »Es heißt ›vor‹ dem Attentat, nicht ›bevor‹.«
Spiken sah zufrieden aus.
»Ja, genau. Um 14 Uhr findet bei der Polizei eine Pressekonferenz statt, ich dachte, die könnte Patrik übernehmen, wenn du nichts anderes geplant hast, Patrik?«
Patrik Nilsson klickte die E-Mail weg und gähnte ausgiebig.
»Na ja«, sagte er, »ich wollte mich eigentlich auf Ranstorp konzentrieren, mal meine Quellen beim Verteidigungsministerium anzapfen.«
»Gut, dann machst du die PK, Annika«, sagte Spiken und wollte fortfahren.
»Na ja«, imitierte Annika ihren Kollegen, »ich wollte mich eigentlich auf von Behring konzentrieren, mal meine Quellen am KI anzapfen.«
Berit begann zu kichern, Anders Schyman spürte, wie sein Unmut wuchs.
»Sollen wir diese Pressekonferenz nun besuchen oder nicht?«, sagte er ein wenig zu laut.
»Ich übernehme das«, sagte Berit und unterdrückte ihr Lachen.
»Sollten wir nicht mit den Familien sprechen?«, fragte Schyman.
»Caroline von Behring wird ja wohl irgendwo dazugehört haben. Mann, Kinder, Eltern?«
»Habe keine Antwort bekommen«, sagte Patrik.
Spiken versuchte, so gut es ging, die restlichen Aufträge zu verteilen, aber wie üblich entschieden die Reporter selbst, wie sie vorgehen würden.
Diese Zeitung braucht mehr Disziplin, dachte Anders Schyman. Die Organisation funktioniert nicht mehr, das muss überdacht werden. In Zukunft wird alles anders aussehen.
»Denkt ans Web, wenn ihr unterwegs seid«, sagte er, während seine Mitarbeiter sich zum Aufbruch bereit machten. »Deadlines gibt es nicht mehr, es wird ständig aktualisiert. Das hier ist Teamwork, vergesst das nicht! Annika, kann ich Sie noch einen Augenblick sprechen?«
Die Reporterin hielt mitten in einem Schritt inne, die Arme beladen mit Kleidungsstücken, Zeitungen und Notizblock.
»Was gibt’s?«, sagte sie.
Er stellte sich dicht neben sie, sodass die anderen nicht hören konnten, was er sagte.
»Bestehen Sie weiterhin darauf, dass Sie über das, was Sie gesehen haben, nicht schreiben können?«
Sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen.
»Nicht ich bestehe darauf, sondern der Justiziar der Zeitung. Er ist der Ansicht, dass die schwedischen Gesetze eingehalten werden sollten.«
Sie wandte sich ab und ging in ihr Eckzimmer, ein Bündel ungekämmter Haare und ein schmaler, kleiner Rücken – das war sie.
Vom Zwerchfell machte sich Wut breit. Sie brannte in seiner Kehle. Bevor Anders Schyman es verhindern konnte, machte sich der Gedanke in seinem Hirn breit:
Ich muss sie loswerden.
Mit einem Knall schloss Annika die Tür zu ihrem verglasten Büro. Schyman war unausstehlich. Vergangene Nacht war er unausgeglichen gewesen, jetzt überließ er Spiken den
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