Nobels Testament
gesamten Nachrichtenteil, dem Mann mit Schwedens schlechtestem Urteilsvermögen. Gott sei Dank war Spiken leicht zu übergehen.
Ich muss mich fernhalten, dachte sie und fuhr den Computer hoch.
Berit übernahm die PK im Polizeipräsidium und wollte anschließend dem verletzten Wächter im Krankenhaus einen Besuch abstatten. Er hatte sich schnell erholt und war begierig darauf, seine Geschichte zu erzählen.
Ein Robinson-Wannabe, dachte Annika und schämte sich fast. Die Familien der beiden anderen Wächter hatten es abgelehnt, mit der Zeitung zusammenzuarbeiten. Berit war schon dort gewesen, mit Blumen und Beileidsbekundungen, aber keiner von ihnen hatte sich äußern wollen. Der Reporter von der Wissenschaftsabteilung sollte an Wiesel dranbleiben, um den es immer noch schlecht stand. Sjölander in den USA verfolgte die Spur mit den christlichen Extremisten, Patrik und ein paar der Internetredaktion würden den Kontakt mit der Polizei und den Ermittlern halten. Sie klickte sich ins Zeitungsarchiv, anschließend ins Netz und suchte nach Angaben zu Caroline von Behring.
Dafür, dass sie so eine mächtige Frau war, ist sie sehr anonym, dachte Annika.
Sie hatte nie irgendwo anders als beim Karolinska-Institut gearbeitet. War nie in den Medien aufgetaucht, außer in rein beruflichem Zusammenhang. Eine kurze Meldung, als sie befördert worden war, kleine Zitate, wenn es um die Verkündung der Preisträger im Bereich Medizin ging.
Erst in den vergangenen Wochen war ihr Name mit einer Kontroverse in Verbindung gebracht worden: als es darum ging, dass Wiesel und Watson die diesjährige Auszeichnung erhalten würden.
Schnell schaute sie sich einige der Beiträge zur Debatte um W&Ws Stammzellenforschung an.
Es gab Kritiker, die das Karolinska-Institut als ein Werkzeug des Teufels darstellten, als gekauft und korrupt und frei von Moral. Auf einer amerikanischen Seite fand sie eine Karikatur von Caroline von Behring mit Schwanz und Hörnern, auf einer anderen war Alfred Nobel als Frankenstein-Monster zu sehen, darunter die Bildunterschrift:
Is this what the Committee wants?
Es gab eine ebenso glühende Verteidigung von anderen Forschern, selbst ernannten Helden, die für die Ausrottung menschlicher Krankheiten kämpften.
Die Frage war, ob es erlaubt sein sollte, übrig gebliebene Eizellen von künstlichen Befruchtungen zu benutzen, den Zellkern zu ersetzen, um daran Forschung zu betreiben. Mit dieser Technik, dem sogenannten therapeutischen Klonen, war das geklonte Schaf Dolly erschaffen worden.
Der bekannteste Fürsprecher der Stammzellenforschung in den USA war der inzwischen verstorbene Filmheld Superman Christopher Reeve gewesen, der sich bei einem Reitunfall zwei Nackenwirbel gebrochen hatte. Zusammen mit sieben Forschern verklagte er George W. Bush, weil dieser die Forschung an Stammzellen unterbunden hatte. In letzter Konsequenz hoffte Reeve, dass die neue Technik ihm dabei helfen würde, wieder gehen zu können.
Annika klickte sich durch die unendlichen Informationen im Internet. Wie in aller Welt hatte sie Fakten recherchiert, bevor es das Internet gab?
Sie fand einen Artikel über ein Buch mit dem Titel »Ethik und Gentechnik. Philosophische und religiöse Perspektiven auf Gentherapie, Stammzellenforschung und Klonen«. Daraus ging hervor, dass der hartnäckigste Widerstand gegen die Forschung vom Katholizismus und Protestantismus ausging. Die westlichen Kulturen seien so individualistisch geworden, dass einzelligen Eiern die Menschenwürde zugesprochen werde.
Die Juden hingegen hätten kein größeres Problem damit, dass man an menschlichen Embryos herumdoktere, las sie. Das Gebot, Leben zu retten, würde über die Menschenrechte des Embryos gestellt. Der Mensch sei Gottes Gehilfe bei der Verbesserung des Geschöpfs, seine Aufgabe sei es, fruchtbar zu sein, die Erde zu bevölkern und sie sich Untertan zu machen. Könne man dazu ein wenig Gentechnik zu Hilfe nehmen, sei das völlig okay.
Auch der Islam mache den Anschein, als sei er mit der Stamm-Zellenforschung einverstanden. Die meisten religiösen Lehren würden die Forschung gutheißen, solange sie dem Menschen nütze, hieß es. In ihrer Welt wird der Embryo erst zu einem vollwertigen Menschen, wenn er eine Seele erhält, was einhundertundzwanzig Tage nach der Empfängnis der Fall ist.
Wenn hier al-Qaida ihre Finger im Spiel gehabt hat, dann ist das Motiv jedenfalls nicht im Inhalt von Wiesels Reagenzgläsern zu finden, dachte Annika und wandte sich
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