Nobels Testament
Mensch und Kollegin war.«
Birgitta Larsén drehte sich auf dem Absatz um.
»Na«, sagte sie. »Dann suchen wir uns mal einen Platz, wo wir uns setzen können.«
Auf klappernden Absätzen ging die Frau weiter den Flur entlang. Annika folgte ihr mit einem Gefühl der Unbeholfenheit. Der kurze Schlaf im Taxi hatte sich in ihren Gelenken festgesetzt und wollte sie nicht loslassen.
In der Nähe des Ausgangs bog Birgitta Larsén scharf nach links ab und betrat einen unscheinbaren Konferenzraum mit Overhead-Projektor und einem Fernseher auf Rädern.
»Dieser Raum wird für die kleineren Zusammenkünfte verwendet, wenn sich das Nobelkomitee trifft, beispielsweise. Das Kunstwerk heißt
Spiegel
«
,
sagte sie und zeigte auf einige schwarzweiße Vierecke an der östlichen Wand.
Annikas Blick schweifte durch den Raum und blieb an einem Fenster hängen, das einen eigentümlichen Platz in einer der Ecken hatte.
Es war dunkel geworden, draußen herrschte tiefes Graphitgrau.
»Arbeiten Sie auch hier am KI?«, fragte Annika und ließ sich an einem runden Konferenztisch nieder.
»Ich bin Professorin am Institut für Physiologie und Biophysik, ja«, sagte sie. »Caroline beschäftigte sich mit Immunologie am MEM, dem Institut für Medizinische Epidemiologie und Molekularbiologie.«
»Wie gut kannten Sie Caroline?«, fragte Annika und hielt den Notizblock ruhig vor sich.
Die Professorin blieb am Fenster neben dem Fernseher stehen und starrte hinaus in den Schnee.
»Wir haben zusammen promoviert«, sagte sie. »Wir waren zu mehreren, mehrere Frauen, die im selben Monat ihren Doktor machten. Damals war das noch nicht so üblich, obwohl es erst fünfundzwanzig Jahre her ist.«
Sie wandte sich wieder zu Annika um.
»Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht, nicht wahr?«
Annika nickte stumm.
»Caroline war natürlich die Jüngste«, sagte Birgitta Larsén. »Das war sie immer.«
»Ich habe den Eindruck, dass sie sehr erfolgreich war«, sagte Annika.
Birgitta Larsén sank auf einen kleinen Beistelltisch.
»Erfolgreich, ja, so kann man es auch ausdrücken«, sagte sie mit müder Stimme. »Schon seit Mitte der achtziger Jahre galt Caroline als eine der führenden Immunologen Europas, obwohl das hierzulande nicht so viele begriffen haben.«
»Worüber hat sie geforscht?«
»Sie hatte ihren Durchbruch mit einem Artikel in der
Science
im Oktober 1986, die gesamte Wissenschaftswelt applaudierte ihr damals. Sie hatte Hoods und Tonegawas Entdeckung der genetischen Grundlage von Immunoglobulinen weiterentwickelt.«
Birgitta Larsén schaute Annika an und schien nach einer Bestätigung zu suchen, dass sie folgen konnte, doch die konnte ihr Annika nicht geben.
»T-Zellen-Rezeptoren, Sie wissen schon«, sagte die Frau, »für die Tonegawa später den Nobelpreis bekam.«
Annika nickte, obwohl sie keine Ahnung hatte, und notierte fieberhaft:
hoods tonegava, imuglobe tezellrezept.
»Und Sie sind enge Freundinnen geblieben?«
Birgitta Larsén schaute auf zum
Spiegel,
und Annika sah, dass sich ihre rot geweinten Augen wieder mit Tränen füllten.
»Immer«, sagte sie und zog zum wiederholten Mal das Taschentuch hervor. »Ich habe sie vielleicht am besten von allen gekannt.«
Annika schaute auf ihren Block und wusste, dass sie nun keinen Rückzieher machen durfte, jetzt galt es, die Sache durchzuziehen und so viel Information wie möglich aus diesem weinenden, schockierten Menschen herauszulocken.
»Wie war sie als Mensch?«
Birgitta Larsén lachte plötzlich auf.
»Eitel«, sagte sie laut. »Caroline hieß Andersson mit Mädchennamen, das von Behring hat sie von ihrem ersten Mann. Sie hat ihn behalten, als sie Knut heiratete. Hjalmarsson ist kein Name, bei dem es in der Medizinerwelt klingelt, wissen Sie. Von Behring dagegen, haha, sie hatte es gern, wenn die Leute dachten, sie sei mit dem alten Emil verwandt. Wussten Sie, dass er das Serum und den Impfstoff erfunden hat?«
Annika nickte. Ja, das hatte sie schon mal gehört.
»Keine Kinder natürlich, aber das wissen Sie bereits«, fuhr die Frau fort. »Nicht, dass Caro etwas gegen eigene Kinder gehabt hätte, sie hätte es sicher gern gehabt, wenn eines gekommen wäre, aber daraus ist nie etwas geworden, und ich glaube nicht, dass sie es vermisste. Finden Sie das seltsam?«
Annika holte Luft, um zu antworten, da fuhr die Professorin bereits fort.
»Caro lebte für ihre Arbeit, und sie war eine echte Feministin. Sie hat immer dafür gesorgt, dass die Frauen um sie herum
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