Nobels Testament
wieder Caroline von Behring zu.
Im Telefonbuch war die verstorbene Frau mit drei Einträgen verzeichnet. Sie teilte sich eine Zeile mit ihrem Mann, Knut Hjalmarsson. Es war eine Anschrift in Lärkstan auf Östermalm, sicher nicht schlecht.
Annika rief alle drei Nummern an. Die erste war weitergeleitet auf ein abgeschaltetes Handy mit Telias neutraler Sprachmailbox. Bei der zweiten antwortete ein Fax, und bei der dritten ertönte zwanzigmal ein Freizeichen, aber es nahm niemand ab.
Sie legte den Hörer auf und seufzte, so würde daraus kein Artikel werden. Sie schaute auf ihre Armbanduhr, halb eins, spätestens um fünf musste sie die Kinder abholen. Dann hieß es einkaufen, sie war mit Kochen an der Reihe. Und außerdem war Freitag, das bedeutete, dass alles ein bisschen spezieller sein musste als an den anderen Tagen. Sie seufzte noch einmal, nahm den Hörer hoch und bestellte ein Taxi.
Es war ein wenig kälter geworden. Der Schnee schien jetzt weniger dicht zu fallen, die Flocken klebten nicht mehr aneinander, sondern wirbelten im auffrischenden Wind herum. Die Menschen auf dem Gehsteig gingen geduckt und schlugen Kragen und Kapuzen hoch. Wie eine grauschwarze Masse rutschten sie durch den Matsch. Annika lehnte den Kopf an die Nackenstütze des Rücksitzes und kniff die Augen zusammen, um sie nicht sehen zu müssen.
Sie spürte, wie die Wirklichkeit verblasste, und ließ sie davongleiten. Mit zurückgelegtem Kopf döste sie weg, während das Taxi sich durch den Großstadtverkehr schlängelte. Mit offenem Mund verschlief sie die Sankt Eriksgatan, die Torgatan und den ganzen Weg zum Karolinska-Institut auf der anderen Seite der Stadtgrenze nach Solna.
In der scharfen Kurve zum Universitätsgelände kippte sie auf dem Rücksitz zur Seite und erwachte schnell. Eine Spur angeschlagen, bezahlte sie und fand sich vor einem flachen zweistöckigen Ziegelbau mit länglichen Fenstern wieder.
Das Nobelforum im Nobels väg 1.
Sie klingelte an der Sprechanlage.
Das Haus wirkte kühl und verlassen, beinahe betrübt. Annika fragte sich zur Nobelkanzlei durch und wollte soeben anklopfen, als eine zerzauste und verweinte Frau die Tür öffnete.
»Was wollen Sie?«
Sie war klein und rundlich, hatte die Haare hennarot gefärbt und trug eine weiße Bluse und eine helle Hose.
Annika spürte dasselbe Unbehagen wie immer, wenn sie die Angehörigen oder Kollegen von Verunglückten aufsuchte.
»Ich habe ein paar Fragen über Caroline von Behring«, sagte sie und wusste nicht, wohin mit ihren Händen.
Die Frau schniefte und sah sie skeptisch an.
»Inwiefern? Was für Fragen?«
Annika ließ ihre Tasche zu Boden fallen und streckte die Hand aus.
»Annika Bengtzon«, sagte sie und machte sich bereit. »Ich komme vom
Abendblatt.
Wir müssen selbstverständlich über die gestrigen Ereignisse während der Nobelpreis-Gala berichten, und darum wollen wir über Caroline von Behring schreiben.«
Zögernd hatte die Frau ihre Hand ergriffen.
»Aha«, sagte sie. »Was denn zum Beispiel?«
»Es hat den Anschein, als sei Caroline von Behring als Privatperson sehr zurückgezogen gewesen«, sagte Annika. »Das werden wir natürlich respektieren. Aber in beruflicher Hinsicht hatte sie ja eine offizielle Rolle inne. Ich würde gern einige Fragen zu ihrer Arbeit und ihrer Position als Vorsitzende des Nobelkomitees stellen.«
»Woher wussten Sie denn, dass Sie sich an mich wenden sollten?«
Annika deutete auf die Tür mit dem Schild »Nobelkanzlei«.
»Nein, nein«, sagte die Frau, zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und schnäuzte sich. »Ich arbeite nicht hier.«
Sie ergriff wieder Annikas Hand.
»Birgitta«, sagte sie, »Birgitta Larsén. Ich gehöre zu Caros Netzwerk. Oder gehörte … wie sagt man das? Das Netzwerk gibt es ja immer noch, auch wenn es nicht mehr Caros ist. Wie drückt man das aus? Sie arbeiten doch mit Sprache, Sie sollten das wissen.«
Annika dachte einen Augenblick über eine Antwort nach, aber Birgitta Larsén war gar nicht daran interessiert.
»Hier sitzen die Kanzleiräte«, sagte die Frau, deutete über die Schulter und betrat einen Flur. »Die Versammlung und das Komitee bestehen ja aus aktiven Professoren, die über den gesamten Campus verteilt sind, was wollten Sie wissen?«
Sie blieb stehen und blickte Annika an, als habe sie sie gerade erst entdeckt.
»Ich wollte einfach mit jemandem sprechen, der Caroline kannte«, sagte Annika. »Mit jemandem, der ein wenig darüber sagen kann, wie sie als
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