Noble House 02 - Gai-Jin
Koiko letzte Hand an ihr Make-up. Ihre Finger zitterten leicht. Wieder gab sie sich bewußt Mühe, ihre Ängste um Yoshi und Yoshis wegen sowie um sich selbst und ihrer selbst wegen zu verdrängen. Die beiden anderen Frauen, Teko, ihre maiko – ihr Lehrling –, und Sumomo sahen aufmerksam zu. Der Raum war klein und funktionell wie der Rest der Suite neben Yoshis Quartier, ausreichend für sie und eine Dienerin. Ihre anderen Dienstboten waren weiter weg untergebracht.
Als sie fertig war, starrte sie ihr Spiegelbild an. Sie konnte keine Sorgenfalten entdecken, und als sie ein Lächeln versuchte, verzog sich die Haut ihres Gesichts nur an den richtigen Stellen. Ihre Augen waren weiß, wo sie weiß sein sollten, dunkel, wo sie dunkel sein sollten, und verrieten nichts von ihrer tiefen Sorge. Das gefiel ihr. Dann erhaschte sie einen Blick von Sumomo, die nicht merkte, daß sie beobachtet wurde, und deren Gesicht für einen Augenblick offen war. Koikos Magen zog sich zusammen, weil sie so viele gegensätzliche Empfindungen darin sah.
Übung, Übung, Übung, dachte sie, was würden wir ohne sie anfangen. Dann wandte sie sich den beiden anderen Frauen zu. Teko, kaum älter als ein Kind, nahm ungebeten den Spiegel und berührte geschickt eine heraushängende Locke, die sie mit ihrer winzigen Hand an die richtige Stelle schob.
»Wunderbar, Dame Koiko«, sagte Sumomo verzaubert. Dies war das erste Mal, daß sie Koikos private Räume hatte betreten dürfen. Die Geheimnisse des Verschönerungsprozesses waren eine Offenbarung gewesen und hatten all ihre Erwartungen übertroffen.
»Ja, das ist es«, sagte Koiko, die annahm, Sumomo meine den Spiegel, dessen vollkommene Oberfläche ihn nahezu unbezahlbar machte. »Und es ist auch ein freundlicher Spiegel. Wenige sind freundlich, Sumomo. Sehr wichtig in diesem Leben, daß eine Frau einen freundlichen Spiegel hat, in den sie schauen kann.«
»Oh, ich meinte das ganze Bild, das Sie abgeben, nicht den Spiegel«, sagte Sumomo verlegen. »Von Ihrem Kimono bis zur Frisur, die Wahl Ihrer Farben und wie Sie Ihre Lippen und Augenbrauen schminken, alles. Danke, daß ich dabei zusehen durfte.«
Koiko lachte. »Ich hoffe, daß die Wirkung mit oder ohne Schminke nicht allzu unterschiedlich ist!«
»Ach, Sie sind die schönste Person, die ich je gesehen habe«, platzte Sumomo heraus. Im Vergleich zu Koiko fühlte sie sich wie eine Bäuerin, unkultiviert und tölpelhaft; zum erstenmal in ihrem Leben war ihr ein Mangel an Weiblichkeit bewußt. Was sieht mein geliebter Hiraga nur in mir, fragte sie sich bestürzt. Ich bin nichts, gar nichts, nicht einmal aus Choshu wie er. Ich bringe ihm kein Gesicht, keine Ländereien, kein Prestige und kein Geld. Ich bin sicher, daß seine Eltern mich in Wahrheit mißbilligen. »Sie sind die … die Schönste, die ich je sehen werde!« sagte sie und dachte: Sind alle Damen der Schwimmenden Welt wie Sie? Selbst die maiko wird hinreißend sein, wenn sie erwachsen ist, wenn auch nicht so wie ihre Herrscherin! Kein Wunder, daß Männer Frauen wie mich nur heiraten, um ihre Häuser zu kontrollieren und ihre Kinder auszutragen, denn es ist so leicht für sie, anderswo Schönheit und vieles, vieles andere zu genießen.
An ihrer Aufrichtigkeit erkannte Koiko das ganze Unglück der anderen Frau. »Auch Sie sind schön, Sumomo«, sagte sie. »Teko-chan, du kannst jetzt gehen, aber bereite für später alles vor… und sorge dafür, daß wir nicht gestört werden, Sumomo und ich.«
»Ja, Herrin.« Teko war elf. Wie bei Koiko war ihr Kontrakt mit der Mama-san des Hauses ›Zu den Glyzinien‹ von ihren bäuerlichen Eltern abgeschlossen worden, als sie sieben war. Zu verdienen würde sie beginnen, wenn sie vierzehn oder fünfzehn war. Bis dahin und solange die Mama-san es wünschte, machte der Vertrag die Mama-san für ihren Unterhalt, ihre Kleidung und ihre Ausbildung für ein Leben in der Schwimmenden Welt verantwortlich, und, falls sie die Eignung dazu entwickelte, auch für die Ausbildung in den verschiedenen Künsten: als Musikerin, Tänzerin, Dichterin oder Gesprächspartnerin oder alles zugleich. Wenn die maiko sich als ungeeignet oder schwierig erwies, konnte die Mama-san den Kontrakt ganz nach Laune wieder verkaufen, aber wenn ihre Wahl weise gewesen war wie bei Koiko, dann würden sich die beträchtlichen finanziellen Aufwendungen der Mama-san und ihr Einsatz in üppigen Gewinnen auszahlen.
»Jetzt lauf und übe deine Tonleitern«, sagte Koiko.
»Ja,
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