Noble House 02 - Gai-Jin
Seratard hatte sich geweigert, ihm den Vorschuß auf sein Gehalt zu geben, den er erwartet hatte, und behauptet, die Mittel der Gesandtschaft seien erschöpft.
»Aber Henri, ich bitte Sie doch nur um das, was Sie mir im Laufe des Jahres geben müssen. Es sind nur ein paar Goldstücke, Henri. Bin ich nicht Ihr wertvollster Helfer hier?«
»Ja, natürlich sind Sie das, mein lieber André, aber aus einem leeren Faß können Sie sich keinen Wein holen – nur eine Migräne!«
Dann hatte er es anders versucht, ebenfalls ohne Erfolg. So blieben ihm nur noch zwei Möglichkeiten. Angélique oder diese Mama-san. »Raiko-san, Sie sind sehr schlau, denken. Muß Möglichkeit geben, wir beide mehr Geld einnehmen als normal, neh? Was können wir verkaufen?«
Sie schaute auf den Tisch nieder, damit er ihre Miene nicht sah. »Saké?« fragte sie und schenkte ein. Ihm zu Ehren war der Saké kalt. Ihre Augen waren Schlitze, und sie fragte sich, wie weit sie ihm trauen konnte. So weit, wie eine Katze einer in die Ecke getriebenen Maus traut. »Information hat einen Preis. Neh?«
Das klang sachlich. Er tat, als sei er überrascht, entzückt, daß sie den Köder so leicht geschluckt hatte. Zu leicht? Vermutlich nicht. Von den Bakufu oder seinen eigenen Herren erwischt zu werden lief auf dieselbe Strafe hinaus: einen qualvollen Tod.
Sir William würde für die richtige Information ordentlich zahlen – Henri überhaupt nicht. Gott schicke sie beide zur Hölle! »Raiko-san, was passiert in Edo?«
»Viel wichtiger ist, was hier passiert«, sagte sie prompt und begann mit den Verhandlungen. »Krieg, ja? Schrecklich! Jeden Tag feuern mehr Soldaten auf dem Schießplatz, üben mehr Kanonen, erschrecken meine Damen.«
»Es tut mir sehr leid, bitte sprechen langsamer, bitte.«
»Oh, es tut mir leid.« Raiko sprach langsamer, sagte, wie ängstlich man im Yoshiwara-Viertel sei, berichtete ihm damit aber nichts, was er nicht bereits wußte. Und er teilte ihr Dinge über die Flotte und die Armee mit, von denen er sicher war, daß sie sie ebenfalls wußte.
Sie tranken schweigend. Dann sagte sie leise: »Ich glaube, gewisse Beamte würden viel bezahlen, um zu erfahren, was die Gai-Jin-Führer planen und wann.«
Er nickte. »Ja. Ich auch denke, unser Führer viel zahlen zu wissen, welche Nippon-Streitkräfte wo, wer führt, über diesen taikō, der grobe Botschaften schickte.«
Sie strahlte und hob ihre winzige Schale. »Auf eine neue Partnerschaft. Viel Geld für ein kleines Gespräch.«
Er trank ihr zu und sagte vorsichtig: »Kleines Gespräch, ja, aber muß sein wichtiges kleines Gespräch, und wirklich klein für wirkliches Geld.«
»Eeee«, sagte sie und tat schockiert, »bin ich eine drittklassige Hure ohne Gehirn? Ohne Ehre? Ohne Verständnis? Ohne Beziehungen, ohne…« Aber sie konnte das nicht durchhalten und kicherte. »Wir verstehen einander vollständig. Kommen Sie morgen um Mittag zu mir. Jetzt gehen Sie, und besuchen Sie Ihre liebliche Hinodeh. Genießen Sie sie und das Leben, solange wir es noch haben.«
»Danke. Aber nicht jetzt. Bitte sagen, ich kommen später.« Er lächelte Raiko zu. »Und Sie, Raiko?«
»Ich habe keine Hinodeh, zu der ich gehen kann, von der ich träumen kann, der ich Gedichte schreiben kann und die mich mit Ekstase erfüllt. Einst war das anders, aber jetzt bin ich vernünftiger, ich genieße Saké und Geldverdienen und Saké. Und nun gehen Sie«, sagte sie mit hartem Lachen, »aber kommen Sie morgen wieder. Am Mittag.«
Als er fort war, befahl sie ihren Dienerinnen, mehr Saké zu bringen, diesmal heiß, und sie nicht zu stören. Nachdem sie solche Freundlichkeit in seinem Gesicht gesehen hatte, vermischt mit seiner Leidenschaft für Hinodeh, hatte sie gespürt, daß ihre Traurigkeit begann, und ihn daher entlassen.
Sie konnte Zeugen für ihre erbärmlichen Tränen, die sie nicht länger unterdrücken konnte, nicht ertragen. Gleichzeitig verachtete sie sich für ihre innere Schwäche, eine hektische Sehnsucht nach ihrer Jugend, nach dem Mädchen, das sie gewesen war und das nun verschwunden war, um nie wiederzukehren.
Es ist nicht fair, nicht fair, nicht fair, stöhnte sie und hob die Schale. Ich bin nicht die alte Hexe, die ich in meinem Spiegel sehe, ich bin ich, Raiko die Schöne, Kurtisane Zweiten Ranges.
»Ah, Otami-sama«, sagte der Shoya, »guten Abend, bitte, setzen Sie sich. Tee, Saké? Es tut mir leid, Sie wieder zu stören, aber ich habe soeben eine Botschaft von meinen Oberherren
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