Noble House 02 - Gai-Jin
treten. Wieder sagte sie dasselbe, wieder unterbrach er sie und wiederholte das richtige Wort: »Verantwortlich, verantwortlich für seine Freude!« Wieder und wieder sagte sie das andere Wort, und unterdessen brachte Ah Tok den Tee herein, aber keiner von beiden sah sie, und sie floh entsetzt, als Hoag Angélique unablässig Befehle gab und sie sie verweigerte, bis sie schließlich auf französisch kreischte: »Also gut, ich bin nur für seine Freude verantwortlich, aber er ist trotzdem tot, tot, tot… mein Malcolm ist tooooot!«
Er wollte sie in den Arm nehmen und ihr sagen, alles sei gut und sie solle schlafen, aber er tat es nicht, denn er glaubte, dies sei noch zu früh. Seine Stimme klang hart, aber nicht drohend, als er in seinem besten Französisch sagte: »Danke, Angélique, aber jetzt werden wir Englisch sprechen: Ja, es tut mir auch schrecklich leid, es tut uns allen leid, daß Ihr wunderbarer Gatte tot ist, aber es ist nicht Ihre Schuld. Sagen Sie es!«
»Lassen Sie mich allein. Gehen Sie!«
»Wenn Sie es sagen: nicht Ihre Schuld.«
»Nicht… nicht. Lassen Sie mich allein!«
»Wenn Sie es sagen. Nicht Ihre Schuld!«
Sie starrte ihn verächtlich an, weil er sie so quälte, und schrie ihn dann wieder an: »Nicht meine Schuld, nicht meine Schuld, es ist nicht meine Schuld, nicht meine Schuld! Sind Sie jetzt zufrieden! Und nun verschwinden Sie!«
»Wenn Sie mir sagen, daß Sie begreifen, daß Ihr Malcolm tot ist und daß Sie in keiner Weise schuld sind!«
»Gehen Sie!«
»Sagen Sie es! Verdammt, sagen Sie es!«
Plötzlich klang ihre Stimme wie das Heulen eines wilden Tieres: »Ihr Malcolm ist tot, tot, er ist tot, er ist tot, er ist tot, aber Sie sind nicht sch… nicht schuld, auf keine Weise, auf keine gottverdammte Weise, nicht sch… in keiner Weise schuld… nicht schu… nicht…« Ebenso plötzlich, wie sie begonnen hatte, wurde ihre Stimme zu einem Wimmern. »Nicht schuld, nein, nicht, ich bin es wirklich nicht, o mein Liebling, es tut mir so… leid, so leid, ich will nicht, daß du tot bist, o Madonna, hilf mir, er ist tot, und ich fühle mich so schrecklich, so schrecklich, o Malcolm, warum bist du gestorben, ich habe dich so geliebt, so sehr geliebt… o Malcolm…«
Diesmal nahm er sie in die Arme, ruhig und fest, und hielt sie, während sie zitterte und weinte und schluchzte. Nach einer Weile verklang ihre Stimme, das Schluchzen ließ nach, und sie sank in unruhigen Schlaf. Noch immer hielt er sie, sanft, aber fest. Seine Kleider klebten ihm schweißnaß am Leib, aber er regte sich nicht, bis sie tief eingeschlafen war. Dann stand er vorsichtig und mit verkrampften Muskeln auf. Als es ihm gelungen war, Schultern und Hals zu entspannen, setzte er sich wieder hin, um sich zu erholen.
Herrgott, das war nahe daran, dachte er. Die Freude darüber, diesmal gewonnen zu haben, ließ einen Teil seiner Schmerzen vergehen, als er sie so vor sich sah, jung und schön und in Sicherheit.
Seine Gedanken eilten nach Kanagawa zu diesem anderen Mädchen, der japanischen Schwester des Mannes, den er operiert hatte, ebenso jung und schön, aber Japanerin. Wie hieß sie noch? Uki irgendwas. Ich rettete ihren Bruder, damit er bei dem armen Kind hier noch mehr Verwüstungen anrichten konnte. Aber ich bin froh, daß sie entkommen ist. Ob sie wohl entkommen ist? Was tut sie wohl, diese schöne Frau. So schön, wie meine eigene geliebte Frau war. Wie schrecklich und gedankenlos von mir, wie wahnsinnig, sie aus Indien fortzubringen, damit sie in London so früh starb.
Dharma? Schicksal? Wie dieses Kind und der arme Malcolm. Die Armen. Ich Armer. Nein, nicht ich, ich habe gerade ein Leben gerettet. Du magst untersetzt und häßlich sein, alter Knabe, dachte er, während er Angéliques Puls fühlte, aber Allmächtiger, du bist ein verdammt guter Arzt und ein verdammt guter Lügner – nein, nicht gut, du hast nur Glück gehabt. Diesmal.
46
Donnerstag, 13. Dezember
»Tag, Jamie«, sagte Phillip Tyrer traurig. »Sir William läßt sich empfehlen. Hier sind drei Kopien des Totenscheins, eine für Sie, eine für Angélique und eine sollte bei der Leiche bleiben, ich gebe sie Strongbow. Sir William meinte, das Original sollte per Diplomatenpost an das Büro des Gouverneurs gehen, damit er es dem Chel-Coroner in Hongkong aushändigt, der es wiederum nach Erledigung der Formalitäten Mrs. Struan übergeben wird. Gräßlich, nicht wahr, aber so ist es nun einmal.«
»Ja.« Jamies Schreibtisch war mit
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