Noble House 02 - Gai-Jin
dem Sessel zurück, in dem sie klein wirkte, gefaßt und beherrscht.
Unbehaglich begann er die Kästen für Ein- und Ausgänge durchzusehen und beschloß dann, sie so mitzunehmen, wie sie waren. Er stellte den einen auf den anderen. »Wenn es irgend etwas gibt… rufen Sie mich einfach.«
»Wenn Mr. Skye und ich fertig sind, gerne, falls Sie Zeit haben.«
»Natürlich, wann immer Sie wollen. Läuten Sie einfach diese Glocke.«
»Jamie, haben Sie zufällig die Todesurkunden schon bekommen?«
»Ja.«
»Könnte ich bitte eine Abschrift davon sehen?«
Jamie starrte ihn an. »Wozu?«
»Um sie zu überprüfen.«
Angélique sagte: »Male… mein Mann hatte die Dienste von Mr. Skye in Anspruch genommen – ich glaube, Sie wußten das, Jamie, nicht wahr?«
»Ja.« Jamie hatte bemerkt, wie sie statt ›Malcolm‹ ›mein Mann‹ gesagt und Skye zustimmend genickt hatte, und er witterte Gefahr. »Und?«
Skye sagte gewandt: »Als ich die schreckliche Nachricht hörte, fühlte ich mich verpflichtet, der Witwe meine Dienste anzubieten…« Das Wort ›Witwe‹ war leicht betont. »Sie hat das freundlich akzeptiert. Der Tai-Pan bat mich, für ihn gewisse Nachforschungen anzustellen, und ich dachte, vielleicht wünsche Mrs. Struan deren Fortsetzung.«
»Gut.« Jamie nickte höflich und wollte gehen.
»Die Todesurkunde, Jamie?«
»Was möchten Sie, Angélique – Mrs. Struan?«
»Mr. Skye ist jetzt mein Rechtsanwalt, Jamie. Er versteht sich auf diese Dinge, im Gegensatz zu mir, und hat eingewilligt, mich zu vertreten«, sagte sie sachlich. »Ich möchte, daß Sie ihm jede Hilfe geben, die er braucht.«
»Selbstverständlich. Wenn Sie mir folgen wollen, Skye.« Jamie ging hinaus, betrat sein Büro und stellte sich hinter seinen Schreibtisch. Er tat so, als suche er Papiere, die er sicherheitshalber in seine Schublade gelegt hatte. »Würden Sie die Tür schließen, es zieht schrecklich.« Der kleine Mann gehorchte. »Hören Sie«, sagte Jamie dann mit leiser Stimme, aber der Unterton war nicht zu verkennen, »wenn Sie sie hereinlegen oder übers Ohr hauen, oder ihr zuviel Geld abnehmen, prügle ich Ihnen die Scheiße aus dem Leib.«
Der kleine Mann kam näher; die Gläser seines Kneifers waren gesprungen und beschlagen. »Das habe ich noch nie im Leben mit einem Mandanten gemacht«, sagte er und blies sich auf wie eine Kobra. »Ein paar saftige Rechnungen, ja, aber nie mehr, als der Markt vertragen konnte. Diese Frau braucht Hilfe, um Gottes willen. Ich kann sie ihr geben, Sie können das nicht.«
»Ich kann und werde, bei Gott.«
»Da bin ich anderer Meinung! Malcolm sagte mir, daß die andere Mrs. Struan Sie gefeuert hat. Stimmt es oder stimmt es nicht? Und stimmt es oder stimmt es nicht, daß Sie und Malcolm seit Wochen wütende, sogar drohende Briefe von ihr bekommen haben, in denen sie gegen meine Mandantin alle möglichen grundlosen Beschuldigungen äußerte? Stimmt es oder stimmt es nicht, um Gottes willen, daß dieses Mädchen Freunde braucht?«
»Ich stimme Ihnen zu, sie braucht Freunde, und ich habe auch nichts dagegen, daß sie einen Rechtsanwalt hat, ich möchte bloß sicher sein, daß Sie sie korrekt behandeln werden.«
»Verdammt, ich habe nie in meinem Leben einen Mandanten ausgenommen. Jamie, ich bin vielleicht ein hungriger Anwalt, aber ich bin ein guter Anwalt, und wir stehen auf derselben Seite. Sie braucht Freunde, Malcolm liebte sie, und Sie waren Malcolms Freund, um Himmels willen – er hat mir von den Briefen erzählt, für die Sie riskiert hätten, aufgehängt zu werden.«
»Das hat nichts zu tun m…«
»Ich streite nicht mit Ihnen, Jamie. Sie ist meine Mandantin, und ich schwöre, daß ich ihr nach besten Kräften helfen werde. Die Todesurkunde, bitte.«
Wutschnaubend öffnete Jamie die Schublade und händigte ihm eine Kopie aus.
»Danke… es sind drei, nicht? Eine für Ihre Akten, eine, die die Leiche begleitet, und eine für die Ehefrau. Allerdings bin ich überrascht, daß man sich die Mühe gemacht hat, an sie zu denken. Das Original geht mit Sonderpost nach Hongkong.« Skye überflog das Papier. »Allmächtiger Gott!«
»Was ist los?«
»Hoag und Babcott«, sagte er. »Sie mögen gute Ärzte sein, aber als Zeugen der Verteidigung sind sie verheerend! Scheiße, man hätte mich benachrichtigen sollen, ehe sie das hier aus der Hand gaben – jeder Narr hätte ihnen bessere Formulierungen vorschlagen können!«
»Wovon, zum Teufel, reden Sie?«
»Mord oder wenigstens eine
Weitere Kostenlose Bücher