Noble House 02 - Gai-Jin
eingegangener Post und Dokumenten über zu erledigende Geschäfte übersät. Seine Augen waren rot vor Müdigkeit.
»Wie geht es Angélique?«
»Ich habe sie noch nicht gesehen, aber Hoag war vorhin hier. Er sagte, man solle sie in Ruhe lassen, bis sie den ersten Schritt tue, und es gehe ihr besser. Sie hat ungefähr fünfzehn Stunden geschlafen. Er meinte, es ginge ihr gut genug, um sie morgen auf die Reise zu schicken, und empfahl, je eher sie aufbreche, desto besser. Er fährt natürlich mit.«
»Wann ist die Abfahrt der Prancing Cloud denn nun angesetzt?«
»Morgen, mit der Abendtide. Strongbow kommt jeden Augenblick, um seinen Fahrtauftrag abzuholen. Haben Sie Post mitzugeben?«
»Allerdings. Und eine Kuriertasche. Ich werde Sir William Bescheid sagen. Kann immer noch nicht glauben, daß Malcolm tot ist. Gräßlich. Ach, übrigens, die Untersuchung wegen Norberts Tod ist auf fünf Uhr angesetzt. Würden Sie hinterher gern einen Happen essen?«
»Danke, aber nicht heute abend. Aber wir können uns gerne morgen nach dem Frühstück treffen.« Jamie überlegte, ob er Tyrer von den Machenschaften seines Samurai-Freundes Nakama und dem Treffen mit dem örtlichen Shroff erzählen sollte – das Nakama vor Tyrer und Sir William geheimhalten wollte. Nakamas Vorschlag hatte ihn fasziniert, und er begrüßte die Gelegenheit, direkt mit einem einheimischen Geschäftsmann sprechen zu können.
Das gestrige Treffen war natürlich abgesagt worden. Er hatte daran gedacht, es bis nächste Woche zu verschieben, sich dann aber entschieden, den Mann am heutigen Abend zu treffen – vielleicht würde ihn das etwas von der Tragödie ablenken.
Das geht Phillip nichts an – und vergiß nicht, daß Phillip und Wee Willie alle möglichen Informationen zurückbehalten haben, obwohl die Vereinbarung bestand, einander alles mitzuteilen. »Bis später, Phillip. Und danke für die Papiere.«
»Bis später, Jamie.«
Die Totenscheine waren von Babcott und Hoag unterzeichnet. Die Autopsie bestätigte, was zuvor schon gesagt worden war. Todesursache waren innere Blutungen aus einer beschädigten Arterie, die nicht mehr korrekt funkti onierte und deren geschwächter Zustand direkt auf die während des unprovozierten Tokaidō-Vorfalls erlittenen Wunden zurückzuführen war.
Jamie nickte vor sich hin. Die Ärzte hatten nicht erwähnt, was den Riß der Arterie verursacht hatte. Es gab keinen Grund, sich genauer auszudrücken, solange niemand eine genauere Antwort verlangte. Wie Tess Struan beispielsweise, dachte er, und sein Magen krampfte sich zusammen. Sie wird sicherlich fragen, und was wird Hoag dann antworten? Dasselbe, was er mir heute morgen gesagt hat: »Bei Malcolms Zustand, Jamie, könnte ein solcher Riß durch ein Dutzend möglicher plötzlicher Bewegungen verursacht werden, vielleicht durch eine unbequeme Lage im Schlaf, bei der er sich unvermittelt umdrehte, weil er schlecht geträumt hatte, und sogar durch die Belastung eines verstopften Darmabschnitts.«
»Aber besonders durch Geschlechtsverkehr?«
»Ja, das ist nur eine von vielen Möglichkeiten. Warum?«
»Um Gottes willen, Sie kennen doch Tess Struan.«
»Ich werde Angélique nicht verdammen, wenn es das ist, was Sie wissen wollen. Im Bett sind immer zwei, und wir beide wissen, daß er alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um sie zu heiraten, und wahnsinnig verliebt war.«
»Ich will nichts davon wissen, Doktor. Tess wird sie verurteilen, was immer in der Todesurkunde steht.«
»Da stimme ich Ihnen zu, Jamie, aber von mir wird sie dabei keine Unterstützung bekommen. Und von George auch nicht. Daß ein heftiger Orgasmus den Riß verursachte und beide in ihrem anschließenden Schlaf nichts davon merkten, ist logisch, aber nicht beweisbar, und selbst wenn es so war, ist Angélique daran in keiner Weise schuld, in keiner Weise, verdammt…«
Die arme Angélique, man wird sie beschuldigen, wie man mich beschuldigen wird. In meinem Fall spielt es keine Rolle. »Ja? Herein! O hallo, Edward!«
»Haben Sie eine Sekunde Zeit?« fragte Gornt.
»Kommen Sie herein, natürlich.« Seit gestern hatte sich seine Beziehung zu Gornt verändert, und er hatte darauf bestanden, sich bei den Vornamen zu nennen. Mein Gott, dachte er, wie sehr habe ich mich in bezug auf ihn geirrt. »Setzen Sie sich. Hören Sie, ich habe es schon ein dutzendmal gesagt, aber nochmals vielen Dank – Sie haben mir das Leben gerettet.«
»Aber nein, ich habe nur meine Pflicht getan.«
»Dafür danke ich
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