Noble House 02 - Gai-Jin
machen. Die Idee ist tollkühn, mehr als tollkühn.«
Sie nickte zerknirscht. »Vermutlich haben Sie recht, und wir werden es nicht schaffen, aber ich werde es versuchen und wieder versuchen. Ich kann mich Ihnen scheinbar auch nicht verständlich machen, mein lieber Jamie. Ich habe versprochen, meinen Ehemann zu lieben, zu ehren und ihm zu gehorchen; er war Ihr Freund. Ich fühle mich nicht von ihm getrennt, noch nicht, und Sie tun das auch nicht, Tess Struan wird ihm doch seinen Wunsch nicht erfüllen, oder?«
Die ganze Zeit hatte er auf sie niedergeblickt, ohne sie zu sehen, und hatte doch gleichzeitig alle Einzelheiten ihrer Person wahrgenommen. Er erinnerte sich an all die Jahre mit Tess Struan und daran, was sie und Culum Struan ihm bedeutet hatten, was Malcolm Struan, Dirk Struan und das Noble House ihm bedeutet hatten. Alles dahin, alles vergeudet, alles zu Ende, unser Noble House ist nicht länger nobel, nicht länger das erste in Asien. Nun, nicht ganz vergeudet und nicht ganz vorüber, aber die Herrlichkeit ist dahin, mein Freund ist tot, und das ist eine Tatsache. Ich war sein Freund, aber war er auch meiner? Gott im Himmel, was tun wir nicht alles im Namen der Freundschaft!
Er sagte: »Tess würde ihn nicht so bestatten, wie er es sich gewünscht hat. Vermutlich ist das das wenigste, was ein Freund für ihn tun kann. Ich werde für den Kutter sorgen.«
Er ging hinaus. Sie seufzte, nahm die Zeitung zur Hand und begann wieder zu lesen.
Als Dr. Hoag in dieser Nacht in der Gesandtschaft von Kanagawa ankam, die zum buddhistischen Tempel gehörte, traf er auf Towrey, den diensthabenden Sergeant in seiner schmucken Wachuniform.
»Ich muß mich nur vergewissern, daß alles bereit ist. Wir wollen früh ablegen.«
Towrey begleitete ihn zu dem Teil des Tempels, der als Leichenhalle benutzt wurde. Er lachte. »Wenn er bereit war, als Sie ihn zurückgelassen haben, Doc, dann ist er auch jetzt noch bereit; er macht sicher keine Spaziergänge mehr!« Er öffnete die Tür und schnüffelte die Luft ein. »Noch riechen sie nicht. Hab Leichen noch nie gemocht. Soll ich Ihnen helfen?«
»Nein, danke.« Zwei leere Särge standen auf Böcken, die Deckel lagen daneben. Andere Särge lehnten aufrecht an den Wänden. Die Leichen lagen auf Marmortischen und waren mit Laken bedeckt. Am hinteren Ende des Raumes standen große Fässer mit Eis. Wasser sickerte aus ihnen heraus und verlor sich in dem Boden aus festgetretener Erde. »Was ist mit dem Eingeborenen? Wie lange müssen wir ihn aufheben?«
»Bis morgen.« Hoag fühlte sich schwach, denn plötzlich wurde ihm klar, daß man, wie es der Sitte entsprach, die Herausgabe des Leichnams fordern würde, um ihn nach dem Shinto-Ritual einzuäschern; aber es würde keinen Leichnam geben…
»Was ist los, Doc?«
»Nichts, bloß ein… danke, Sergeant.« Sein Herz begann wieder zu schlagen, als ihm einfiel, daß der Mann Koreaner war, einer von ein paar schiffbrüchigen Fischern, die ein armseliges Leben führten, keine Möglichkeit hatten, nach Hause zu segeln, und von den Einheimischen verachtet wurden. Babcott hatte eingewilligt, die Leiche im buddhistischen Krematorium verbrennen zu lassen. »Sie könnten mir tatsächlich helfen, Sergeant.«
Nach der Autopsie war Malcolms Leichnam von ihren japanischen Lehrlingen und Helfern gewaschen und angekleidet worden. Mit Hilfe des Sergeanten legte Hoag ihn in den Sarg. »Sieht richtig nett aus für eine Leiche.« Malcolms Gesicht war im Tode heiter. »Nehmen wir den anderen auch, Doc. Damit Sie sich keinen Bruch heben, nicht, obwohl der Bursche sicher nicht viel wiegt.«
»Wir sollten ihn in sein Laken wickeln.«
Der Koreaner bestand nur aus Haut und Knochen. Er war an Ruhr gestorben. Gemeinsam legten sie ihn in den Sarg.
»Danke. Ich räume nur noch auf und komme dann zu Ihnen.«
»In Ordnung, Doc. Ich werde mich vergewissern, daß Ihr Zimmer bereit ist.«
Als Hoag allein war, verriegelte er die Tür. Mit Angéliques Zustimmung hatten sie entschieden, daß die traditionelle Aufbahrung, bei der die Leiche im offenen Sarg lag, damit die Leute dem Toten die letzte Ehre erweisen konnten, nicht stattfinden würde. Sorgfältig legte er den Deckel auf den Sarg. Es dauerte nicht lange, ihn fest zuzunageln.
Und nun der andere. Der Gewichtsunterschied würde groß sein. Was sollte er benutzen? Erde. Auf einer Seite stand eine Schaufel, die den Totengräbern gehörte – nicht jede Leiche wurde verbrannt. Draußen war die Erde weich,
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