Noble House 02 - Gai-Jin
auch so. »Kapitän Strongbow, legen Sie ab!«
»Aye aye, Sir, danke.« Der Kutter legte ab, tauchte in die Wellentäler und nahm dann Geschwindigkeit auf. Möwen kreischten in seinem Kielwasser. Alle blickten ihm nach.
»Das ist so ein seltsames Gefühl«, murmelte Angélique und weinte still vor sich hin. »Und auch wieder nicht. Wir haben doch recht, oder nicht? Haben wir recht?«
Wieder traf Jamie die Entscheidung für sie alle. »Ja«, sagte er, nahm ihren Arm und begleitete sie nach Hause.
Kurz vor Einbruch der Dämmerung klopfte Vargas an die Bürotür des Tai-Pan. »Mr. Gornt möchte Sie sprechen, Senhora. M’sieur André hat eine Nachricht hinterlassen; M’sieur Seratard würde sich geehrt fühlen, wenn Sie mit ihm dinieren würden.«
»Sagen Sie nein, vielleicht morgen. Hallo, Edward. Kommen Sie herein.« Wieder saß sie in einem Lehnstuhl an den Fenstern, der Tag war dunkel und regnerisch. Auf Eis stand eine geöffnete Flasche Weißwein bereit, daneben ein umgedrehtes Glas. »Bitte, bedienen Sie sich. Gehen Sie jetzt an Bord?«
»Ja, der Tender ist bereit. Auf Ihr Wohl, Ma’am.«
»Und auf Ihres. Sind Sie der einzige Passagier?«
»Ich weiß es nicht.« Er zögerte. »Sie sehen wunderbar aus. Ma’am.«
»Es tut mir leid, daß Sie abreisen. Vielleicht wird alles besser sein, wenn Sie zurückkommen«, sagte sie. Sie mochte ihn noch immer. »Werden Sie wiederkommen oder zuerst nach Shanghai gehen?«
»Das werde ich wohl erst wissen, wenn ich in Hongkong bin. Wo werden Sie sich aufhalten? Im Großen Haus der Struans auf dem Peak?«
»Ich habe mich noch nicht einmal endgültig entschieden, ob ich überhaupt reisen werde.«
»Aber… Sie werden nicht an der Beerdigung teilnehmen?« fragte er verwirrt.
»Ich werde mich morgen entscheiden«, sagte sie, da sie ihn im Ungewissen lassen wollte, ihn und alle anderen, sogar Jamie. »Mr. Skye rät mir dringend, ich soll hier bleiben, und ich fühle mich nicht wohl.« Sie zuckte die Achseln. »Ich werde morgen entscheiden, ich habe eine Kabine reservieren lassen. Ich wünsche mir verzweifelt, bei ihm zu sein, ich muß bei ihm sein, und doch, wenn er nicht so bestattet wird, wie er es sich wünschte und ich es mir wünsche, dann… dann habe ich versagt.«
»Sie haben ihn nicht im Stich gelassen, Ma’am. Alle wissen das.«
»Und Sie werden mich nicht im Stich lassen, Edward, nicht wahr? Sie werden ihr meinen Brief überbringen und alles so machen, wie wir es besprochen haben?«
»Ja. Versprochen ist versprochen. Ehrensache, Ma’am.« Er sah sie offen an.
»Und ich habe auch etwas versprochen, nicht wahr? Ewige Freundschaft.«
Die Art, wie sie die beiden Worte aussprach, war ein Versprechen und kein Versprechen. Er wurde beim besten Willen nicht mehr so schlau aus ihr wie früher. Noch vor drei Tagen hätte er gewußt, wie weit ihn dieses Versprechen bringen würde. Nun war da eine Barriere. Er war froh. Wenn für mich eine Barriere besteht, dachte er, dann besteht sie für jeden Mann. Sechs Monate sind trotzdem keine lange Wartezeit.
Vielleicht wird sie also nicht in Hongkong sein. Inwieweit betrifft das mich? »Meine Pläne hängen von Tess Struan ab.« Er hätte Angélique zu gern von seinem wahren Plan erzählt, aber er war viel zu klug, um auch nur indirekt darauf hinzuweisen. »Ich hoffe, daß sie nach der Information handelt, die ich ihr geben werde. Das wird mindestens einen Monat dauern. Wenn sie es wünscht, werde ich den Monat abwarten und helfen, sie wird Hilfe brauchen. Alles hängt von ihr ab. Wenn Sie mit dem Postdampfer nachkommen, können wir in Hongkong weiterreden. Wenn nicht, darf ich Ihnen dann schreiben?«
»Natürlich, ja, bitte. Das würde mich freuen. Mit jeder Post. Ich verspreche Ihnen, daß ich Sie über meine Pläne auf dem laufenden halten werde.« Sie öffnete die Schublade und nahm einen Umschlag heraus. Er war an Mrs. Tess Struan adressiert und unversiegelt. »Sie können ihn lesen.«
»Danke, Ma’am, aber das ist nicht notwendig.«
Angélique nahm den Umschlag zurück, versiegelte ihn aber nicht, sondern schob nur die Klappe ins Kuvert. »Das erspart Ihnen die Mühe, ihn über Dampf zu öffnen, Edward.«
Er lachte. »Wieso sind Sie so sicher, daß ich das tun würde?«
»Ich würde es tun. Die Versuchung wäre zu groß. Bitte versiegeln Sie den Brief, bevor Sie ihn ihr geben.«
Er nickte. »Sie haben einmal gesagt, Sie wüßten jetzt, warum Ihr Mann mich mochte, warum ich ein gefährlicher Feind und ein noch
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