Noble House 02 - Gai-Jin
Gott, das ist alles so riskant«, stöhnte Jamie voll Unbehagen. »Wie kriegen wir den anderen Sarg aus der Gesandtschaft raus, heimlich, bei all den Angestellten und Soldaten dort?«
»Darum hab ich mich schon gekümmert.« Hoag kicherte. »Ich hab unseren japanischen Helfern gesagt, sie sollten ihn in den Schuppen an unserem Landungssteg in Kanagawa bringen, das ist nicht weit vom Krematorium entfernt. Das können sie machen, ohne Verdacht zu erregen. George sagte mir, er bringt dort Särge und Leichen unter, wenn er zu viele hat. Das ist Routine.«
»Großartig! Wie weit ist es von der Pier entfernt?«
»Fünfzig Meter oder so. Zu dritt können wir ihn leicht tragen, und wir haben ja den Bootsmann, nicht?«
»Ja. Das haben Sie verdammt gut gemacht. Verdammt gut.« Jamie blinzelte in den Regen. »Ein Jammer, daß wir es nicht heute nacht erledigen können, um die Sache zu Ende zu bringen.«
»Machen Sie sich nichts draus. Morgen wird auch reichen.« Hoag war sehr zuversichtlich und erfreut über Jamies Lob. Unnötig zu erzählen, daß er gesehen worden war und mit Pallidar gesprochen hatte. Heute morgen hatten sie zusammen gefrühstückt, und als er sagte: »Settry, was gestern nacht betrifft…«, hatte Pallidar ihn unterbrochen: »Vergessen Sie’s, vergessen Sie’s einfach, Doktor, das wäre am besten für Sie.«
Es ist am besten, dachte er und strahlte. Vergessen wir, daß es passiert ist. »Sollen wir nicht Angélique holen? Wie geht es ihr?«
Eine Stunde später versammelten sie sich erneut neben dem Kutter. Der Regen war heftiger und der Wind böig. Ein Teil der Pier wurde von Gischt übersprüht. Der Kutter, gut vertäut, hob und senkte sich mit den Wellen, und die Trossen knarzten. Angélique trug einen schwarzen Regenmantel über dem schwarz gefärbten Kleid, einen schwarzen Hut mit schwarzem Schleier und einen Regenschirm, der himmelblau war. Ein verblüffender Kontrast.
Um sie herum standen Jamie, Skye, Dimitri, Tyrer, Sir William und andere Gesandte, Kapitän Strongbow, Gornt, Marlowe, Pallidar, Vargas, André, Seratard, Reverend Tweet und viele andere, gegen den Regen zusammengedrängt. Pater Leo hielt sich mit trüber Miene im Hintergrund, hatte die Hände in die Ärmel gesteckt und spähte unter seiner Kapuze hervor. Jamie hatte Tweet gebeten, einen Segen zu sprechen. »Es wäre eigenartig, wenn wir das nicht täten, Angélique. Ich werde dafür sorgen, daß es keinen richtigen Gottesdienst oder Reden gibt, das wäre nicht korrekt, nur einen Segen.«
Das unfreundliche Wetter trug dazu bei, daß der Segen kurz ausfiel. Als Tweet geendet hatte, schauten alle verlegen Angélique an. Möwen kreischten über ihnen. Schließlich sagte Sir William: »Noch einmal, Madam, mein tiefstes Mitgefühl.«
»Danke.« Sie hielt sich sehr gerade. Regen tropfte von ihrem Schirm. »Ich protestiere dagegen, daß mir nicht gestattet wird, meinen Ehemann so zu bestatten, wie er und ich dies wünschten.«
»Ihr Protest wird zur Kenntnis genommen, Madam.« Sir William lüftete den Hut. Die übrigen Anwesenden zogen an Angélique vorbei, sprachen ihr Beileid aus und nahmen den Hut ab oder salutierten, wenn sie in Uniform waren. Strongbow salutierte und bestieg den Kutter, Pallidar folgte ihm an Bord, während Marlowe, noch immer aufgewühlt, vor Angélique stehenblieb. »Es tut mir so schrecklich leid«, sagte er, salutierte und entfernte sich.
Pater Leo kam als letzter. Düster schlug er das Zeichen des Kreuzes und sprach die lateinischen Worte, wobei sein Gesicht größtenteils verdeckt war.
»Aber er ist nicht katholisch, Pater«, sagte sie sanft.
»Ich glaube, in seinem Herzen war er einer von uns, Senhora.« Pater Leos Akzent wurde durch den Kummer und die im Gebet verbrachte Nacht noch verstärkt. Er hatte Gott gefragt, was er tun sollte, ob er hingehen sollte oder nicht. »Er hätte das Licht gesehen. Sie hätten ihm geholfen, dessen bin ich sicher. In nomine patris… «
Unglücklich trottete er davon. Nun standen nur noch Jamie, Hoag und Skye bei ihr auf der Pier. »Was nun, Jamie?« fragte sie, und tiefe Melancholie überkam sie.
»Wir warten noch eine Minute«, sagte er.
Wie die anderen hatte er das Gefühl, an einem Betrug beteiligt zu sein, gleichzeitig aber war er tiefbewegt. Ich helfe damit nur einem Freund, sagte er sich immer wieder. Du hast versprochen, ihn und sie zu behüten. Genau das tust du. Ja, aber es ist Betrug, und ich hasse es. Vergiß das, du bist der Anführer, nun benimm dich
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