Noble House 02 - Gai-Jin
um irgend etwas zu hören, vielleicht länger; man munkelte, ein großer Sturm auf dem südchinesischen Meer könne alles weiter verzögern. Es hatte keinen Sinn. Zeitpunkt und Wetter vorhersagen zu wollen.
Eines Tages werden wir nach Hongkong telegraphieren können, und eines Tages wird der Draht vielleicht den ganzen Weg nach London überbrücken. Mein Gott, was für eine phantastische Wohltat für alle, wenn man eine Botschaft nach Hongkong senden kann und binnen weniger Tage eine Antwort bekommt – und nach London zurück in, sagen wir, zwölf bis sechzehn Tagen, statt in vier Monaten! Das wird zu meiner Zeit nicht mehr passieren, aber ich wette, daß der Draht Hongkong in zehn bis fünfzehn Jahren erreicht. Ein Hoch auf Nakama und meinen Partner Ryoshi, ein Hoch auf meine neue Gesellschaft, McFay Trading. Und ein Hoch auf Angélique.
Obwohl sie in tiefer Trauer war, hatte sie am Weihnachtstag eingewilligt, zu dem Dinner zu kommen, das er für Albert MacStruan gab und zu dem sich auch Sir William, Seratard, André und die meisten der Gesandten eingefunden hatten. Der Abend war ein Erfolg gewesen. Obwohl sie sich sehr verändert hatte, war sie anmutig und liebenswürdig gewesen, und alle hatten bemerkt, daß sie in ihrer neuen Reife noch schöner geworden war. Heute sollte eine große Abendgesellschaft in der französischen Gesandtschaft stattfinden, zu der sie alle eingeladen waren. André würde spielen. Es war zweifelhaft, ob sie tanzen würde – die Wetten standen zehn zu eins dagegen. Die Wetten, ob sie schwanger war oder nicht, standen noch pari. Hongkong wurde von niemandem erwähnt. Seit ihrem Abenteuer auf See und der erfolgreichen Überlistung von Sir William waren sie enge Freunde geworden und dinierten an den meisten Abenden zu zweit.
Ein Hoch auf das neue Jahr, das großartig werden wird!
Trotz seiner guten Laune durchzuckte ihn ein stechendes Gefühl. Gegenwärtig waren die Geschäfte heikel, der Bürgerkrieg in Shanghai flammte wieder auf, in Macao wütete die Seuche, der Amerikanische Bürgerkrieg tobte wie eh und je, in Irland herrschte Hungersnot, auf den Britischen Inseln war es unter Arbeitslosen zu Aufständen gekommen. Und dann war da noch Tess Struan.
Verdammt, ich habe mir geschworen, mir vom 1. Januar 1863 an ihretwegen keine Sorgen mehr zu machen! Und auch nicht Maureens wegen.
Um seiner Angst zu entkommen, gab er seinem Pferd die Sporen. Sofort tat Hiraga dasselbe; beide Männer waren gute Reiter. Dies war Hiragas erster Ritt seit langem, die erste Gelegenheit, sich in halber Freiheit außerhalb der Niederlassung zu bewegen. Er ritt neben Jamie und überholte ihn dann, bald galoppierten sie dahin. Und bald waren sie auch allein, da die anderen Richtung Rennbahn davongeritten waren. Sie fielen in Schritt und genossen den Tag.
Vor sich konnten sie die gewundene Tokaidō sehen, hier und da von Bächen überflutet. Weiter südlich lag Hodogaya. In der guten alten Zeit vor den Morden pflegten die Händler im Frühjahr und im Herbst das Dorf zu besuchen, um Saké und Bier zu trinken; sie hatten ihr eigenes Picknick bei sich und lachten und flirteten mit den vielen Mädchen, die versuchten, sie in ihre Bars oder Restaurants zu schleppen. In den Bordellen aber waren die Gai-Jin nicht willkommen.
»He, Nakama, wo treffen Sie Ihren Cousin?« fragte Jamie und hielt sein Pferd am Dorfrand an, nicht weit von der Schranke entfernt, da er sich der Feindseligkeit der Reisenden sehr wohl bewußt war. Doch er machte sich keine Sorgen. Er war offen mit einem Revolver im Schulterblatt bewaffnet – Hiraga nicht, meinte er.
»Ich ihn suchen. Ich am besten gehe andere Seite von Schranke, Jamie-sama«, sagte Hiraga. Er war überglücklich gewesen, Katsumatas Botschaft zu erhalten, und gleichzeitig hatten ihn böse Ahnungen gequält, denn es war gefährlich, den Schutz von Sir William und Tyrer zu verlassen. Aber er mußte Nachricht von Sumomo und den anderen bekommen und herausfinden, was in Kyōto wirklich passiert war und wie der neue Plan der Shishi aussah. Täglich hatte der Shoya den Kopf geschüttelt. »Tut mir leid, Otami-sama, ich habe noch keine Nachricht über Katsumata oder Takeda – und auch nicht über das Mädchen Sumomo oder Koiko. Herr Yoshi wohnt in der Burg von Edo. Sobald ich etwas erfahre…«
Noch immer gut verhüllt, bedeutete Hiraga Jamie, er solle voranreiten. »Bitte, wenn ich finde guten Platz für Sie warten.«
Die Wachen an der Sperre beobachteten sie argwöhnisch,
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