Noble House 02 - Gai-Jin
kaum drei Meilen von der Niederlassung Yokohama entfernt und bot wenig Möglichkeiten, sich zu verstecken. »Und falls er nicht kommt?« Der junge Mann kratzte sich gereizt den Kopf. Weder sein Kinn noch sein Schädel waren seit ihrer Flucht aus Kyōto rasiert worden und nun mit stoppeligem Haar bedeckt.
»Er wird kommen, wenn nicht heute, dann morgen. Ich muß ihn sehen.« Die beiden Männer versteckten sich seit einer Woche hier. Ihre Reise von Kyōto aus war schwierig gewesen, oft waren sie ihren Häschern nur knapp entkommen. »Sensei, mir gefallen dieser Ort und die Änderung des Plans nicht. Wir sollten nach Edo gehen, wenn wir den Kampf fortsetzen wollen, aber vielleicht sollten wir auch umkehren und nach Hause gehen.«
»Wenn du weiterziehen willst, geh. Wenn du nach Choshu zurückkehren willst, dann geh«, knurrte Katsumata. »Wenn du dich das nächste Mal beklagst, erhältst du den Befehl zum Aufbruch!«
Takeda entschuldigte sich auf der Stelle und fügte kleinlaut hinzu: »Es ist nur, weil wir in Kyōto so viele Männer verloren haben. Wir wissen nicht einmal, wie es den Shishi in Edo ergangen ist. Es tut mir leid, aber ich denke dauernd, wir hätten nach Hause gehen sollen wie die, die überlebt haben, ich nach Choshu und du nach Satsuma, um uns später neu zu sammeln.«
»Hodogaya ist perfekt, und die Herberge hier ist sicher.« Man hatte Katsumata gewarnt, Yoshi habe einen hohen Preis auf seinen Kopf ausgesetzt, und darum hatte er beschlossen, vorsichtig zu sein. »Morgen oder übermorgen gehen wir weiter«, sagte er, froh über den jungen Mann, den er immer als Schutzschild benutzen konnte. »Zuerst Hiraga.«
Es war schwierig und gefährlich gewesen, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Nur wenige durften die Straßensperren nach Yokohama passieren oder hatten Zugang zu der Yoshiwara der Gai-Jin. Ständig wurden neue Pässe und neue Parolen ausgegeben, und Patrouillen durchstreiften die Gegend. Gruppen von Samurai hielten sich in der Nähe von Yokohama auf und schnitten es beinah vom Rest des Landes ab.
Dann, vor drei Tagen, hatte Katsumata eine Dienerin gefunden, deren Schwester Hebamme war und von Zeit zu Zeit in die Yoshiwara ging. Für einen Gold-Oban willigte die Hebamme ein, der Mama-san im Haus ›Zu den drei Karpfen‹ eine Botschaft zu überbringen.
»Takeda, bleib hier und halte Wache. Warte geduldig.« Katsumata ging hinunter in den Garten und schlenderte durch das vordere Tor auf die Tokaidō, auf der es von morgendlichen Reisenden, Sänften, Trägern, Wahrsagern, Schreibern, Samurai und Pferden wimmelte. Der Morgen war empfindlich kalt, und alle trugen wattierte Jacken und warme Kopftücher oder Mützen. Ein paar Samurai beäugten Katsumata, unternahmen aber nichts. Die Art, wie er ging, seine verfilzten Haare und sein ungepflegter Bart, das lange Schwert in einer Scheide auf seinem Rücken und ein weiteres in seinem Gürtel warnten Neugierige, vorsichtig zu sein. Er war eindeutig irgendein Ronin, und man ging ihm besser aus dem Weg.
Am Rand des Dorfes, wo er einen guten Blick auf das Meer und Yokohama hatte, setzte er sich auf die Bank eines Speisestandes am Straßenrand.
»Tee, und zwar frisch und heiß.«
Der erschrockene Besitzer des Standes beeilte sich, ihm zu gehorchen.
In der Niederlassung trabte eine Gruppe berittener Händler über die Brücke; die Männer hoben höflich die Hüte oder grüßten mit ihren Reitpeitschen die Wachen am Nordtor, um knappe Verbeugungen zu erwidern. Soldaten, Matrosen und der Pöbel von Drunk Town waren zu Fuß unterwegs, alle beim morgendlichen Festtagsausgang, denn heute war Neujahrstag. Für den Nachmittag waren Pferderennen angesetzt, später ein Fußballspiel zwischen der Army und der Navy. Es war kalt, aber strahlend schön, und es wehte ein leichter Wind, gerade ausreichend, um den größten Teil des Geruchs nach verfaulenden Algen und menschlichen Ausscheidungen weiter landeinwärts zu treiben.
Einer der Reiter war Jamie McFay. Neben ihm ritt Hiraga, dessen Gesicht größtenteils von einem Tuch sowie von einer Reitkappe verdeckt wurde. Er trug einen gut geschnittenen Reitanzug. Dieser Ausritt war weder von Tyrer noch von Sir William genehmigt worden, ja, sie wußten nicht einmal davon, vielmehr war er die Belohnung dafür, daß er zwischen Jamie und dem Shoya gedolmetscht und ersterem auch geschäftliche Informationen gegeben hatte.
Gestern hatte Hiraga gesagt: »Ich antworte mehr Fragen wenn reiten, Jamie-sama. Muß gehen, gehen nach
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