Noble House 02 - Gai-Jin
beteiligt gewesen. Und sie selbst auch nicht.«
»Was kann sie anderes sagen – aber die Zofe war beteiligt, nicht wahr?«
»Vielleicht spricht sie die Wahrheit, vielleicht nicht, aber vielleicht sieht sie wegen ihres Kummers nun den Irrtum ihrer Vergangenheit ein, Sire. Ein bekehrter Spion kann äußerst wertvoll sein.«
»Katsumatas Kopf würde mich mehr beruhigen.«
Inejin lachte, beugte sich vor und senkte die Stimme. »Ich schlug vor, sie solle Ihnen schnell Einzelheiten über den Verräter Hiraga liefern, ehe Sie seinen Kopf verlangen.«
»Und ihren.«
»Der aufgespießte Kopf einer Frau ist kein schöner Anblick, Sire. Das ist eine alte Wahrheit. Besser, ihn auf den Schultern zu lassen und das Gift, die Weisheit, die Verschlagenheit oder schlichte Verderbtheit, die jede derartige Frau besitzt, zum eigenen Vorteil zu nutzen.«
»Wie?«
»Zuerst, indem Sie von ihr Katsumata verlangen. Hiraga ist ein komplizierteres Problem. Sie sagt, er sei der Intimus eines wichtigen englischen Beamten, der einem englischen Führer namens Taira nahesteht.«
Yoshi runzelte die Stirn. Noch ein Omen? Taira war ein weiterer bedeutender japanischer Name, eine alte königliche Familie, verwandt mit der Yoshi-Serata-Linie. »Und?«
»Dieser Taira ist ein Beamter, ein Dolmetscher in der Ausbildung. Sein japanisch ist bereits sehr gut – die Engländer müssen eine Schule haben, wie Sie eine vorgeschlagen haben und die Bakufu sie ›in Erwägung ziehen‹.«
Yoshi dachte nach. »Taira? Ist er ein häßlicher junger Mann, großgewachsen, mit blauen Augen, riesiger Nase und langen Haaren wie Reisstroh?«
»Ja, ja, so sieht er aus.«
»Ich erinnere mich an ihn. Fahren Sie fort.«
»Meikin hat gehört, daß er in unserer Sprache schnell Fortschritte macht, unterstützt von einer Hure namens Fujiko, aber mehr noch wegen dieses Hiraga, der sein Haar nach Gai-Jin-Art geschnitten hat und Gai-Jin-Kleidung trägt.« Der alte Mann genoß den Augenblick, denn er liebte es, Geheimnisse zu erzählen. »Es scheint, daß dieser Hiraga der Enkel eines wichtigen Shoya aus Choshu ist, der für seine Nachkommen den Goshi-Status erwerben durfte. Hiraga wurde ausgewählt, eine geheime Choshu-Schule zu besuchen, wo er als hervorragender Student Englisch lernte.« Als er das Gesicht seines Herren sah, unterdrückte er ein Lächeln.
»Dann ist der Spion also kein Gai-Jin, sondern dieser Hiraga?«
»Nein, Sire, aber Hiraga könnte eine ernst zu nehmende Hilfsquelle von Geheiminformationen sein. Wenn man ihn anzapfen könnte.«
»Ein Shishi, der uns hilft?« höhnte Yoshi. »Unmöglich.«
»Ihr Treffen gestern an Bord des Furansu-Schiffes – war das von Nutzen, Sire?«
»Es war interessant.« Natürlich wußte Inejin bereits von diesem Abenteuer. Abeh und ein halbes Dutzend seiner Männer waren anwesend gewesen. Wer hatte im Rausch geredet? Es spielte keine Rolle. Das war zu erwarten gewesen. Er hatte nichts Kompromittierendes gesagt.
»Abeh!« rief er laut.
»Sire?«
»Schicken Sie eine Dienerin mit Tee und Saké.« Während beides serviert und von Inejin dankbar akzeptiert wurde, ging er nochmals alles Gehörte durch. »Was schlagen Sie vor?« fragte er dann.
»Es steht mir nicht zu, vorzuschlagen, was Sie mit Sicherheit bereits beschlossen haben, Sire. Aber wenn der englische Führer sein Ultimatum schickt, wären in meinen Augen Sie allein der perfekte Vermittler – allein, Sire.«
»Aha! Und dann?«
»Unter anderem könnten Sie verlangen, diesen Hiraga zu sehen. Sie könnten ihn taxieren und vielleicht überreden, auf Ihre Seite überzulaufen. Drehen Sie ihn zu Ihrem Vorteil um. Die Wahl des Zeitpunkts könnte perfekt sein.«
»Das wäre möglich, Inejin«, sagte er. Er hatte dies bereits zugunsten eines viel besseren Einfalls abgetan, eines Einfalls, der in den Plan paßte, den er in Kyōto mit Ogama besprochen hatte und der seinem eigenen Bedürfnis entsprach, den großen Entwurf in Angriff zu nehmen. »Man könnte auch an diesem Hiraga ein Exempel statuieren. Fangen Sie Katsumata, er ist der Kopf der Shishi-Schlange – falls Meikin das Mittel ist, ihn lebend auszuliefern, um so besser für sie.«
Ein paar Meilen entfernt auf der Tokaidō, in der Station Hodogaya, betrachtete Katsumata aus dem Fenster des Teehauses ›Zum ersten Mond‹ die Menge. »Sei geduldig, Takeda«, sagte er. »Hiraga ist erst am späten Vormittag zu erwarten. Sei geduldig.«
»Ich hasse diesen Ort«, sagte Takeda. Das Dorf lag auf offenem Gelände,
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