Noch ein Kuss
Emotionen gezeigt als die, die er an diesem Abend erlebt hatte.
Was war mit der sensiblen Romantikerin passiert, die sich ihm gezeigt hatte? In der Gegenwart seines Bruders war jedenfalls nichts davon zu sehen gewesen.
»Du wirst kommen oder ich werfe all meine Prinzipien über den Haufen und verdonnere meinen Vater dazu, deine Fälle selbst zu bearbeiten.« Carly strahlte ihren Verlobten an, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte.
»Deinen Vater?« Mike konnte sich die Nachfrage nicht verkneifen.
Sein Bruder schaute zu ihm herüber und murmelte: »Der Seniorpartner der Kanzlei.« . Beinahe wäre Mike an seiner Cola erstickt.
Peter wandte sich wieder an Carly. »Ich werde da sein«, versprach er.
»Dann wäre ja alles geklärt.« Sie klappte ihr ledernes Notizbuch zu.
»Zur Anprobe des Smokings ganz sicher und vielleicht sogar, um die Blumen auszusuchen«, fuhr Pete fort, ein offensichtlich allerletzter Versuch, die Pläne zu seinen Gunsten zu ändern.
Als Carly eine Augenbraue hob, hielt Mike gespannt den Atem an.
»Einverstanden«, sagte sie dann.
Die Frau hatte anscheinend Übung darin, sich gnädig auf einen Kompromiss einzulassen.
Peter stand auf und auch Carly erhob sich aus ihrem Schneidersitz. Dann streckte sie die Arme über den Kopf, wobei sich ihre runden Brüste so verführerisch unter ihrem engen Spaghettitop abzeichneten, dass Mikes Glied sich versteifte und gegen den rauen Stoff seiner Jeans drückte. Er unterdrückte ein Stöhnen. Das würde eine verdammt lange Nacht werden.
»Zeit, dich wieder an die Arbeit gehen zu lassen«, sagte Carly derweil zu Peter.
Sein Bruder lächelte. »Du bist genau die richtige Frau für mich«, sagte er und legte eine Hand auf ihren Rücken.
Zu seinem Entsetzen konnte Mike sich kaum davon abhalten, gegen diesen intimen Kontakt zu protestieren. Abgesehen davon, dass Carly ihm gelegentlich eine Frage zu den Hochzeitsvorbereitungen gestellt hatte, hatte sie ihn den ganzen Abend nicht weiter beachtet. Und nachdem er an diesem Tag schon zweimal im Zentrum ihres Interesses gestanden hatte, fühlte er sich wider Willen ein wenig gekränkt.
»Das habt ihr gut gemacht, ihr zwei Turteltäubchen«, rief er den beiden zu.
Überrascht drehte Carly sich zu ihm um und sah ihn an. Dann fasste sie sich an den Pony. Ihre naive Verletzlichkeit rührte ihn.
»Danke, Mike.«
Dass sie sich nun auf ihn konzentrierte, erschien ihm vollkommen richtig … trotz der Tatsache, dass sein Bruder neben ihr stand.
»Gute Nacht.« Carly senkte den Kopf und ging an ihm vorbei, ohne ihn noch einmal anzusehen.
Doch der Vanilleduft, der ihm schon am Nachmittag aufgefallen war, hüllte ihn ein und tröstete ihn. »Bis bald.«
Während Peter Carly zur Tür brachte, zappte Mike mit der Fernbedienung durch die Programme. Doch die gedämpften Stimmen der beiden und Carlys leises Lachen waren bis ins Wohnzimmer zu hören und lenkten ihn ab. Fluchend stellte er die Lautstärke höher. Ob sein Bruder sie zum Abschied küsste, hatte ihn nicht zu interessieren. Und wie ihre vollen Lippen sich anfühlten, ging ihn erst recht nichts an.
Mit einer heiseren Verwünschung, die er irgendwo auf seinen Reisen aufgeschnappt hatte, schaltete Mike den Fernseher aus, sprang auf und verzog sich ins Gästezimmer. Lieber schlug er sich mit seinen Albträumen herum, als zwei Verliebte beim Gute-Nacht-Sagen zu belauschen.
Kapitel 2
Ungläubig sah Mike sich um. Das Herrenmodengeschäft bot eigentlich kaum mehr als fünf Menschen Platz, dennoch schienen mindestens fünfzehn Kunden um die Aufmerksamkeit zweier gehetzter Verkäufer zu kämpfen. »Das glaube ich einfach nicht«, murmelte er.
»Ich schon.«
In dem überfüllten Laden musste er viel zu dicht neben Carly stehen und gegen ihren verlockenden Duft ankämpfen. Wer den Begriff auch erfunden haben mochte, an ihn hatte er dabei bestimmt nicht gedacht. Bei diesem Andrang waren die Aussichten, schnell mit der Anprobe fertig zu werden, eher düster. Und obwohl er gern einen ganzen Vormittag mit Carly verbracht hätte, scheute er vor der Versuchung zurück. Pete würde sein Interesse an der zukünftigen Frau seines Bruders sicher nicht gefallen.
»Sieht so aus, als wollten alle Frauen im Juni heiraten«, meinte Mike.
Carly verdrehte die Augen. »Hast du mal genauer hingesehen? Die Mädels können noch keine zwanzig sein und die Hälfte dieser jungen Männer ist noch nicht trocken hinter den Ohren. Um diese Jahreszeit sind auch die
Weitere Kostenlose Bücher