Noch ein Tag und eine Nacht
aus.
Eine Stimme verkündete uns, dass wir in Kürze in New York landen würden. Bei solchen Anlässen tue ich stets dasselbe. Ich stecke das Buch in die Tasche, schalte die Musik aus, stecke mir ein Bonbon in den Mund, und wenn Zeit ist, gehe ich noch mal auf die Toilette und wasche mir das Gesicht. Mit anderen Worten, ich bereite mich auf die Landung vor.
Schon holperte das Flugzeug über die Piste. Was ich einfach nicht verstehe, ist, warum die Leute sofort aufstehen, wenn das Flugzeug zum Stillstand kommt. Die Türen sind noch geschlossen, aber alle stehen schon, mit schiefen Köpfen unter den Gepäckfächern, unbequemer geht’s nicht. Bei Inlandsflügen von einer Stunde genauso. Wenn ich beruflich mal von Mailand nach Rom fliegen musste, hörte ich die Männer vor dem Abflug am Handy über Zahlen, Budgets, Kürzungen, Dividenden, Wachstumsraten, Partner und so weiter reden. Bis zur letzten Sekunde hingen sie am Telefon, womit sie bewiesen, wie bedeutend sie waren. Wenn sie neben einer Frau saßen, sagten sie häufig Sachen wie: Ohne mich tut ihr erst mal gar nichts, Wenn ich nein sage, heißt das auch nein … Ich mit Rucksack und T-Shirt kam mir gegenüber all diesen Profis wie ein Taugenichts vor. Manche hatten sogar das Mittagessen ausfallen lassen, das roch ich an ihrem Atem. Sobald der Flieger gelandet war, schalteten alle ihr Handy ein, sprangen auf und beugten den Kopf vor, wie Raubvögel. In dieser höchst unbequemen Haltung zeigte sich ihre ganze Intelligenz. Im Gang sagten sie dann Entschuldigung, darf ich mal, bis sie ihre Aktentaschen hatten. Dann wieder warten, im Stehen, bis die Türen geöffnet wurden. Im Zubringerbus warteten sie stehend und dicht gedrängt wie Ölsardinen auf den letzten Passagier, der bis zum Schluss sitzen geblieben war und alles in drei Sekunden erledigt hatte: Aufstehen, Handgepäck holen, Aussteigen. Da er als Letzter in den Bus stieg, war er am Terminal auch der Erste, der ausstieg. Sie mögen große Geldmengen bewegen, aber wenn es nicht um Zahlen geht, ist ihr Hirn nicht existent.
Auf dem New Yorker Flughafen fiel mir auf, dass die Einreiseprozedur sehr viel aufwendiger war als beim letzten Mal: Abdruck des rechten und linken Zeigefingers, digitales Foto, eingescannter Pass. Ich sah schon eine Prostatauntersuchung auf mich zukommen. Ein echtes Problem bekam ich dann kurze Zeit später, als ich merkte, dass mein Koffer nicht auf dem Gepäckband lag. Es war noch nie vorgekommen, dass er als Erster herauskam, doch dies war das erste Mal, dass er gar nicht herauskam. Ein Zeichen? Ich stellte mir meinen Koffer auf irgendeinem europäischen Flughafen vor, wo er mutterseelenallein seine Runden drehte. Vielleicht war er sogar als Allererster herausgekommen, zwar nicht an dem Flughafen, wo ich mich befand, aber das war dann doch ein kleiner Trost. Mir wurde gesagt, man werde ihn mir am nächsten Tag ins Hotel bringen. Ich wusste nicht, ob ich dieser Auskunft trauen sollte, aber das Fräulein am Schalter war sehr freundlich, und Freundlichkeit lässt in mir Vertrauen entstehen. Ich glaubte ihr.
Im Taxi nach Manhattan begann ich sofort ein Gespräch mit dem Fahrer. Das tue ich immer, unter anderem um herauszufinden, wie es um mein Englisch bestellt ist, nachdem ich es so lange nicht gesprochen habe. Ich verstand ihn gut. Es ist ein gutes Training, Filme und Fernsehsendungen in der Originalsprache zu sehen. Außerdem habe ich mir angewöhnt, das Wort get zu benutzen, falls ich etwas nicht ausdrücken kann, das funktioniert fast immer. Get ist für mich das, was schlumpfen für die Schlümpfe ist. Funktioniert immer.
Der Taxifahrer wollte wissen, woher ich kam. In Italien sei er noch nie gewesen, meinte er. Aber nächste Woche fahre er nach Jamaika, in die Flitterwochen.
»Ich habe ein Fünf-Sterne-Hotel gebucht, all inclusive, mit so einem Armband… Einmal im Leben.«
»Gute Wahl, Jamaika ist wunderschön.«
»Und du, bist du in guten Händen?«
»Nein.«
»Glückspilz. Selbst die schönste und faszinierendste Frau der Welt wird nach einem Jahr langweilig.«
»Und warum heiratest du dann?«
»Weil mir schon langweilig ist. Es ändert sich nichts für mich.«
Wir mussten lachen. Als ich ausstieg, sagte ich: »Viel Spaß in den Flitterwochen und – viel Sex.«
»Mit meiner Frau?«
»Of course!«
»Bist du verrückt? Du hast ja keine Ahnung…«
Mein Hotel lag im Norden von Chelsea. Bevor ich hineinging, kaufte ich schnell die Sachen ein, die ich zum Überleben
Weitere Kostenlose Bücher