Noch ein Tag und eine Nacht
brauchte, bis man meinen Koffer wieder aufgetrieben hatte: Unterhosen, ein sauberes T-Shirt, Socken und Deo. Ich dachte ständig darüber nach, wie ich übers Internet irgendjemandes Festnetznummer und darüber dann Silvias Handynummer herauskriegen konnte, in der Hoffnung, dass sie Michelas Adresse noch hatte. Ich erinnerte mich an niemanden, der noch eine Festnetznummer besaß, außer Oma, die allerdings von niemandem, den ich kannte, die Nummer hatte. Außerdem war sie nicht mehr besonders gut beieinander, und ihr Telefon benutzte sie fast nie. Früher, als es ihr noch besser ging, hatte ich mal einen vergeblichen Versuch gestartet, sie von den Vorzügen eines Handys zu überzeugen. Aber das ging nicht lange, sie konnte sich nicht mal merken, wie man es an- und ausschaltete. Also ließ sie es immer an, vergaß aber, es aufzuladen. Und vor allem bereitete ihr das Lesen Mühe, sie sagte, sie könne nichts erkennen. Da sie nicht wusste, was sie mit der Funktion »Meldungen« anfangen sollte, empfing sie einzig und allein Werbe-SMS des Anbieters, und das Handy machte so lange piep , bis sie sie öffnete. Ich versuchte ihr ein paar Funktionen zu erklären, resignierte aber, als sie bei der Taste »Menü« meinte: »Ach, und da kann man sich was zum Essen aussuchen, wie im Restaurant.« Manchmal, wenn sie sich aufs Sofa setzte, begrub sie das Handy unter sich und stellte, ohne es zu merken, eine Verbindung zur letzten gewählten Nummer her. Was fast immer meine war. Dann brüllte ich immer: »Oooooomaaaaa, Oooooomaaaaa…« Aber natürlich hörte sie nichts, sie war praktisch taub, und da sie auf dem Handy saß, hätte sie schon Ohren an den Pobacken haben müssen.
Schließlich landete ihr Handy, immer noch mit der Schutzfolie über dem Display, in einer Schublade. Ausgeschaltet für immer.
Jedenfalls war Oma jetzt nicht die Lösung. Ich beschloss, erst mal mein Zimmer zu beziehen und zu duschen, um mich ein wenig von der Reise zu erholen. Danach würde ich schon wissen, was zu tun war. Eins nach dem anderen. Schließlich hatte ich ja nur die Adresse von Michelas Arbeitsstelle, und deshalb nutzte sie mir samstags sowieso nicht so viel. Obwohl ich ja schon gerne gesehen hätte, wo sie arbeitete.
Doch zunächst richtete ich das Zimmer her. Das tue ich immer, wenn ich ein Hotelzimmer beziehe. Als Erstes ziehe ich die Tagesdecke ab, die wird nämlich nicht für jeden Gast gewechselt, was ich ein bisschen fies finde, und werfe sie auf den Boden oder in den Schrank. Dann ziehe ich das Laken am Fußende unter der Matratze hervor. Ich kann nicht schlafen, wenn ich eingewickelt bin wie eine Frühlingsrolle. Manchmal vergesse ich das und versuche das Laken herauszuziehen, wenn ich schon im Bett liege. Ich hebe ein Bein, aber das Laken klemmt normalerweise unter der schweren Matratze richtig fest. Irgendwann habe ich dann auch das Bettlaken herausgezogen, auf dem ich liege, und morgens stelle ich fest, dass ich auf der blanken Matratze geschlafen habe. Da hätte ich auch die Tagesdecke an ihrem Platz lassen können. Bei manchen Hotelbetten mag ich auch die Laken nicht. Sie sind nicht weich wie zu Hause und rutschen immer weg, irgendwie merkwürdig. Die Handtücher oft auch. Als hätten sie eine unsichtbare Folie. Besonders eklig finde ich jedoch die Fernbedienung. Ich muss an all die Finger nackter Menschen im Bett denken, die diese Tasten schon gedrückt haben.
Nach der Dusche machte ich einen Spaziergang. Für die ersten Schritte durch New York legte ich Live Wire von AC/DC auf. Danach wählte ich ruhigere Musik: Back in Your Arms von Wilson Pickett, Tired of Being Alone von Al Green, Use Me von Bill Withers…
Um acht war ich wieder im Hotel, todmüde. Acht Uhr abends in New York entsprach zwei Uhr nachts in Italien. Mir war immer noch nicht eingefallen, wie ich an die Telefonnummern kommen konnte.
Bei meinem Hotel um die Ecke hatte ich Alfred kennengelernt, einen Penner. Auf ein Pappschild hatte er geschrieben: »Ein Witz, ein Dollar«. Ich gab ihm einen Dollar. Er erzählte einen, aber ich begriff ihn nicht.
Ich ging hinauf ins Zimmer. Beim Einschlafen sprach plötzlich mein Unterbewusstsein zu mir. Eine ferne Stimme stieg in mir auf, Dantes Stimme: »Ist dir an meiner Nummer nichts aufgefallen? Sie ist ein Palindrom… Ganz leicht.« Ich öffnete die Augen und sprach seine Nummer laut aus. Sofort notierte ich sie auf einem Notizblock des Hotels.
Verdammt… meine Rettung. Ich hatte keine Wahl. Wenn ich meinen Film
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