Noch ein Tag und eine Nacht
fest, dass man auf einem negativen Trip war, der gar nichts mit der Wirklichkeit zu tun hatte.
Glücklicherweise gehört ein Spaziergang durch Manhattan zu den schönsten Sachen der Welt. Die Stadt ist prallvoll von allem, Anregungen, Leuten, Farben, Gerüchen. Überall riecht es wieder anders, mal nach Pizza, dann nach orientalischen Gewürzen und gerösteten Nüssen. Gerüche aller Art. Die Leute, die einem begegnen, sehen aus, als wären sie genau so, wie sie sein wollen. Jeder kleidet sich anders, wie es ihm gefällt. In New York habe ich immer das Gefühl, die Welt ist hier in dieser Metropole, und der ganze Rest ist einfach nur Stadtrand. Ich male mir oft aus, wie es wäre, an einem ruhigen Ort auf dem Land oder am Meer zu leben, aber die Wahrheit ist, dass ich in der Stadt aufgewachsen bin und die Stadt mir gefällt. Ich liebe es, durchs Zentrum zu spazieren und die Schaufenster zu betrachten. Eine Buchhandlung zu betreten, in eine Bar einzukehren und in den soeben erstandenen Büchern zu blättern, das Cover einer CD zu studieren, während ich einen Tee trinke. Dann nehme ich mir fest vor, immer wieder von neuem herauszufinden, wo ich leben will. Denn die Orte und Städte eignen sich je nach Alter und Lebensphase mehr oder weniger. Wer immer in derselben Stadt wohnt, läuft Gefahr, sich nie zu verändern.
Ich kehrte ins Hotel zurück. Vier Uhr nachmittags, und noch immer keine Nachricht von Michela. Ich ging in die Bar und bestellte ein Bier.
Was mag sie gedacht haben, als sie die Nachricht abhörte?, fragte ich mich. Bestimmt was Schlimmes, denn sie hat nicht zurückgerufen, nicht mal, um nein zu sagen. Sie hatte mir damals in der Bar ja auch gesagt, sie hätte mich auf einen Kaffee eingeladen, weil sie unter ihr bisheriges Leben einen Strich ziehen und einen neuen Abschnitt beginnen wolle. Aber wenn sie mich nicht wiedersehen wollte, hätte sie problemlos tausend Ausreden vorbringen können, anrufen hätte sie also schon können. Vielleicht hatte sie meine Nachricht nicht abgehört…
Plötzlich hörte ich jemanden meinen Namen rufen: »Giacomo!«
Ich drehte mich um. Es war Dinah, die allein in einem Sessel saß. Sie lud mich auf einen Drink ein. Sie wartete auf ihren Mann. Wir unterhielten uns ein wenig, aber ich war nicht bei der Sache. Der Gedanke an Michela bedrückte mich. Ich bekam langsam Angst vor der eigenen Courage, mit jedem Augenblick verlor das Ganze die Faszination des Abenteuers und wurde mehr und mehr zur Schnapsidee. Aber Dinah war echt nett, und letztendlich tat mir die Unterhaltung mit ihr gut, denn so konnte ich die Geschichte für kurze Zeit vergessen. Dann wurden wir plötzlich von der jungen Frau vom Empfang unterbrochen. Es sei eine Nachricht für mich gekommen.
Ich entschuldigte mich bei Dinah und ging sie holen.
Auf dem Zettel stand: BRINGST DU MIR BEI DEINER RÜCKKEHR EIN CAP VON DEN YANKEES MIT? DANTE. Manche haben einfach das Talent, unwissentlich immer den falschen Zeitpunkt zu erwischen. Ich verabschiedete mich von Dinah und zog mich in mein Zimmer zurück.
Um acht Uhr ging ich wieder hinunter und machte einen weiteren Spaziergang. Diesmal am Fuße der Wolkenkratzer in Uptown. Ich hegte die törichte Hoffnung, Michela zu begegnen. Einen dieser komischen Zufälle zu erleben. Aber Fehlanzeige.
Ich ging hinunter in die U-Bahn. Ich fahre gern U-Bahn, in allen Städten, die ich besuche. Auf der Fahrt durch die Tunnel erfährt man viel über eine Stadt. Als würde man einen Körper durch seine Blutbahnen erkunden. New York fand ich immer komplizierter als andere Städte. Die Pariser Metro gehört zu den besten der Welt, da habe ich mich nie verfahren, doch in der New Yorker U-Bahn habe ich oft die Orientierung verloren. Es kann aber durchaus schön sein, sich zu verirren, wenn man keine beruflichen Verpflichtungen hat. Oft kommt man dann an interessante Orte. Nach ein paar kurzen Fahrten hin und her stieg ich wieder ans Licht. Bei einem Straßenhändler aß ich ein paar Hotdogs. Drei, um genau zu sein. Dann kehrte ich ins Hotel zurück. In einer Straße der Lower East Side wurde ich von einer Nutte angesprochen. Hübsch war sie. Wir unterhielten uns ein wenig. Sie fragte, wo ich herkäme: »Italia.«
»Italiaaaa… ich spreche Italienisch… los, komm mit mir… ich blas ihn dir, dass dir Hören und Sehen vergeht.«
Sie ließ mich sogar ihre Brüste sehen, aber schließlich merkte sie, dass ich nicht interessiert war, und sagte, ich solle mich zurück in mein Land
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