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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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Fristen und Verpflichtungen, ich fühlte mich göttlich. Ich setzte mich auf eine Bank. Dort gab es nichts Besonderes zu sehen, ich wollte einfach nur beobachten, was in dieser Straße passierte. Ich dachte viel darüber nach, was mit mir passierte, über Michela, über unsere gemeinsamen Erlebnisse. Über die Tatsache, dass dieses dumme Spiel, dieser lachhafte Trick tatsächlich funktionierte. Mit ihrem Spiel hatte Michela den Zugangscode geknackt, das Passwort, um mich von meinen Ängsten zu befreien.
    »Willst du mit mir spielen?«
    »Ja.«
    Ich saß auf dieser Bank in New York, wartete, dass es hell wurde, und ordnete meine Gedanken. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man ab und zu innehält, um etwas zu verändern. Ich dachte nicht daran, was daraus werden würde. Kein »für immer und ewig«. Wie der Engel in dem Film Der Himmel über Berlin: »Ich möchte bei jedem Schritt oder Windstoß jetzt und jetzt und jetzt sagen können und nicht wie immer, seit je und in Ewigkeit.«
    Für mich war Michela dieser Engel. Jetzt, jetzt, jetzt!
    Lange blieb ich dort sitzen, so wie im Kino nach einem guten Film, wenn man nicht gleich aufstehen will, sondern noch ein bisschen sitzen bleibt, damit die Erregung abflaut. Dann ging ich frühstücken. Kaffee und einen Muffin, und nachdem ich noch ein Stück gegangen war, ging ich ins Hotel zurück. Am liebsten hätte ich noch weiter diesen Tagesanfang genossen, aber langsam wurde ich müde. Ich war gern mit Michela zusammen, auch wenn wir nichts Besonderes machten, hatte ich nie das Gefühl, Zeit zu verschwenden. Wäre ich in ihren Armen eingeschlafen und zwanzig Jahre später wieder aufgewacht, hätte ich nicht das Gefühl gehabt, meine Zeit verschwendet zu haben. Wieso eigentlich?
    In den letzten Monaten, bevor ich sie traf, hatte ich genau das umgekehrte Gefühl gehabt. Es war mir alles wie eine Zeitverschwendung vorgekommen. Wie wenn man auch noch anstehen muss, um einen Strafzettel zu bezahlen, reine Zeitverschwendung. Verständlich, dass man abends nicht ins Bett will, wenn man das Gefühl hat, einen Tag nicht richtig gelebt, die Zeit verschwendet zu haben. An solchen Abenden habe ich eine unbändige Lust zu leben, will zwei oder drei Filme auf einmal sehen, schreiben, lesen, zeichnen oder einfach aus dem Fenster schauen. Schlafen ist für mich dann vergeudete Zeit. Ich habe Lust zu lernen, irgendwas, Hauptsache lernen. Und den nächsten Tag würde ich am liebsten verschlafen. Aufstehen zu müssen erscheint mir dann wie die schlimmste Ungerechtigkeit. Selbst der Bauch tut mir weh. Im Grunde müsste ich meine beiden Seiten vertauschen, das wär’s: Abends müsste ich der vom Morgen sein und umgekehrt. Manchmal will ich aber auch sofort schlafen, sobald in mich ins Bett lege. Ich spiele mit dem Gedanken, mir einen Kräutertee zu machen, damit ich besser ein- und bis zum Morgen durchschlafen kann, aber wenn ich dann wirklich einen Kräutertee trinke, muss ich nachts aufs Klo, da weiß ich nicht, was besser ist. Manchmal ist selbst das Zubettgehen ein Riesenproblem.
    Jetzt, in diesem Augenblick, schlief Michela, und ich hätte gerne eine Methode gefunden, um in ihre Träume zu gelangen und mit ihr zu sprechen, ihr alles zu sagen, was ich ihr noch nicht gesagt hatte. Ich wollte all das nicht für mich behalten.
    Manchmal machte Michela mich verlegen, denn sie besaß die Fähigkeit, mich zu verunsichern. Meine gewohnte Sicherheit bei Frauen hatte ich zum Teil eingebüßt. Ich spürte, dass sie meine Gedanken lesen konnte. Dabei wäre ich gern ein bisschen männlicher gewesen, um ihr den Wunsch nach starken Armen zu erfüllen, in die sie sich, wie sie mir anvertraut hatte, gerne sinken lassen würde. Damit sie sich un-beschwert gehenlassen könnte, ich wäre ja da, würde auf sie achtgeben und sie vor Kälte und allem Bösen bewahren. Aus diesem Grund wäre ich gerne ein bisschen… von allem ein bisschen mehr gewesen. Ich wollte sie bei der Hand nehmen und sie über die Straße führen, wie nur ein richtiger Mann es vermag, wollte jeden Tag vor ihrem Büro auf sie warten, um zu sehen, wie sie mir lächelnd entgegenkam. Ich wollte ihren Geschmack kennen, um ihr genau das richtige Kleid zu kaufen. Wollte etwas Schönes für sie sein, ein schöner Gedanke, ein gutes Wort, ein Augenblick der Stille. Ich wollte, dass ihre Stimme einen warmen Klang bekäme, wenn sie ihren Freundinnen von mir erzählte und meinen Namen aussprach. Wenn ich an Michela dachte, bekam ich Lust, mir ein

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