Noch ein Tag und eine Nacht
vier Tage zu meiner Frau. Ich verspreche, dir keine Versprechungen zu machen, vielmehr dich teilhaben zu lassen an meiner Fähigkeit zu lieben und dich zu lieben. Du bist die Frau, bei der ich mich wohl fühle, und was ich bei unserem Zusammensein an mir erkannt habe, wird ewig Bestand haben.«
Sie gab mir einen Kuss. »Hey, mein Gatte«, flüsterte sie mir zu.
»Wenn jemand wüsste, was wir hier machen, würde er denken, wir beide sind reif für die Klapse«, sagte ich.
»Das ist ja das Schöne. Dass nur wir beide es verstehen. Was geht uns die Welt an? Ihr Urteil, ihre Meinung, ihre Etiketten? Und außerdem, was gibt es Verrückteres, als ein solches Versprechen ernst zu nehmen?«
Dann gingen wir zum Essen. Unser Hochzeitsessen fand bei Katz’s Delicatessen in der Houston Street statt, und wir aßen ausgezeichnete Sandwiches mit Riesengurken und Pommes frites.
Am Nachmittag machten wir einen Spaziergang, und plötzlich stand ich, ganz ohne Absicht, wieder vor dem Plattenladen. Dem mit den billigen CDs. »Lass uns eine Hochzeits-CD kaufen«, sagte ich. Wir beschlossen, eine Aufnahme von Louis Armstrong und Ella Fitzgerald zu nehmen, aus gegebenem Anlass schien uns ein Duett angemessen. Was Musik betraf, verließ sich Michela ganz auf meinen Geschmack. Ich liebäugelte auch mit Porgy and Bess von George Gershwin, aber daraus kannte Michela nur den Song Cheek to cheek, der auf der CD gar nicht drauf war. Deshalb kauften wir schließlich die Platte Ella & Louis, und von da an war Cheek to cheek unser Lied.
Auf dem Heimweg kamen wir auf der 3rd Street plötzlich an einer Kirche vorbei. Wir gingen hinein und setzten uns. Schweigend. Ich weiß nicht, woran Michela dachte, ich jedenfalls dachte an uns, an meine Mutter, meine Großmutter, an Silvia, meinen Hund und jede Menge andere Leute. Beim Hinausgehen blieb Michela vor einer Muttergottesstatue stehen, zog erst ihren, dann meinen Ehering ab und warf sie in den Opferstock. Dann nahm sie zwei Kerzen und zündete sie an. Ich war einverstanden, also sagte ich nichts. Ich sah sie an und vergaß dabei alles um mich herum. Als wäre die Welt draußen vor der Kirche nicht existent, hatte ich nur noch Augen für sie, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie absurd es eigentlich war, sich mit einem Menschen so wohl zu fühlen, den man gerade erst kennengelernt hat. Ich war kurz davor, den Verstand zu verlieren. Als sie sich umdrehte und mir in die Augen sah, bekam ich eine Gänsehaut, ein unglaublich intensives Gefühl, für den Bruchteil einer Sekunde.
Draußen war das Tageslicht so hell, dass wir geblendet waren und die Augen zusammenkniffen.
»Eine schöne Kirche, nicht?«, sagte ich.
»Ja. Ich betrete ab und zu eine Kirche. Weißt du eigentlich, dass ich meine Examensarbeit über das Marienbild im Mittelalter geschrieben habe?«
»Das ist ja interessant… musst du mir eines Tages mal genauer erklären. Glaubst du an Gott?«
»Ich bin Agnostikerin.«
»Agnostikerin? Was heißt das?«
»Agnostiker sind der Auffassung, dass es keine rationale Erkenntnis des Göttlichen gibt, jedenfalls nicht für Menschen, und deshalb kann man nicht sagen, ob es ihn gibt. Und du, bist du gläubig?«
»Ich stelle gerade fest, dass ich gar nicht weiß, ob ich an Gott glaube. Als ich klein war schon, dann eine Weile nicht, später ist der Glaube zurückgekommen. Das ist mal so, mal so. Als Kind verlor ich leicht den Glauben an Gott. Ich erpresste ihn. Stell dir vor, einmal hörte ich für eine Weile auf, an ihn zu glauben, weil ich keine Schamhaare bekam. Mein Verhältnis zum Glauben ist wechselhaft.«
»Schamhaare, das scheint mir ein guter Grund, den Glauben zu verlieren. Jedenfalls nennt man das Oligopistie, eine Kleingläubigkeit, die leicht zu erschüttern ist.«
Ich sah sie ungläubig an.
»Jetzt hör ich aber lieber auf, sonst rinnt dir plötzlich noch Blut aus der Nase. Lass uns lieber einen Kaffee trinken gehen.«
Abends aßen wir zu Hause, und ich übernachtete bei ihr. Die erste Nacht mit meiner Frau! Küsse, Liebkosungen, Umarmungen, aber kein Sex. Nichts als Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten. Dann schliefen wir eng aneinandergeschmiegt ein.
Am nächsten Morgen sagte ich im Spaß: »Dann stimmt es also, dass man nach der Hochzeit nicht mehr miteinander schläft.«
Bis zu unserer Trennung blieben uns nur noch wenige Tage. Wie bei Aschenputtel würde auch für uns der Ball und alles, was dazu gehörte, bald Vergangenheit sein.
Schnee und Kinder (-3)
Als
Weitere Kostenlose Bücher