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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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Blumen und Büsche. Einen kleinen Brunnen mit Fischen gab es auch. Am Eingang saßen zwei ältere Damen an einem Holztischchen, die jeden Besucher begrüßten und Programmzettel austeilten. Veranstaltet wurden ein Kinder- und ein Blumentag, Literaturlesungen sowie kleine Konzerte. Der Park lebt von Spenden und ehrenamtlicher Tätigkeit. Ein wunderbarer Ort.
    Ich setzte mich auf eine Bank und wartete auf meine zukünftige Frau.
    Ich hatte mich feingemacht. Ich trug eine dunkelblaue Hose und ein hellblaues Hemd. Die Haare hatte ich nach hinten gekämmt wie mein Großvater. Er benutzte Brillantine, ich eine Art Gel. Den Großvater mit der Brillantine habe ich leider nie kennengelernt. Ich kannte ihn nur aus Omas Erzählungen. Die Woche über musste er hart arbeiten, aber sonntags zog er sich elegant an und trug immer ein frisch gewaschenes hellblaues Hemd. Er rasierte sich sorgfältig und kämmte die Haare mit Brillantine zurück. Das habe er schon als junger Mann so gemacht, sagte Oma, und als sie ihn das erste Mal sah, habe sie sich auf der Stelle in ihn verliebt. Beim Dorffest auf der Piazza. Er habe sie gleich bemerkt und zum Tanzen aufgefordert, aber sie habe abgelehnt, nicht weil sie nicht wollte, sondern weil sie zu aufgeregt gewesen sei und es ihr peinlich war. Aber bei jedem neuen Tanz habe er es wieder versucht, und beim siebten Versuch habe sie schließlich eingewilligt. Von diesem Augenblick an hatten sie sich nie wieder getrennt; beim nächsten Dorffest ein Jahr später waren sie schon Mann und Frau.
    Auch ich war mit der Absicht zum Jefferson Market Garden gekommen, bei Michela einen unvergesslichen Eindruck zu hinterlassen. Unterwegs hatte ich gefrühstückt und dann einen Hochzeitsstrauß gekauft. Als Trauzeugen hatte ich mich für Nick Drake entschieden und einen Liedtext von ihm mitgebracht. Für wen sie sich entschieden hatte, wusste ich noch nicht.
    Als ich sie in der Ferne auftauchen sah, stand ich auf. Auch wenn es nur zum Spaß war, war es doch furchtbar aufregend. Sie trug ein crèmefarbenes Kleid. In der Hand hatte sie ein Buch und eine Plastiktüte. Als sie bei mir ankam, lächelten wir uns an. Das war unser Film, und wir waren die Schauspieler, wir spielten unsere Rolle mit Gefühl und Spaß.
    Wenn man heiratet, muss man eigentlich daran glauben, dass es für immer und ewig ist. Auch wenn dieses »für immer und ewig« gar nicht existiert. Man muss daran glauben.
    Die Zeremonie war kurz. Schweigend sahen wir uns ein paar Minuten an. »Ich kann’s kaum erwarten, dich zu heiraten«, sagte ich.
    »Ich auch«, antwortete sie.
    Ich holte die beiden Ringe heraus, und wir steckten sie uns gegenseitig an.
    Dann zitierte ich die Passage aus dem Lied Time has told me von Nick Drake, meinem Trauzeugen, die ich für sie ausgewählt hatte:
    Und die Zeit wird dir sagen,
    bleib bei mir,
    such weiter,
    bis es nichts mehr zu verstecken gibt.
    Verlass die Wege, die dich zu jemandem machen,
    der du gar nicht sein willst,
    verlass die Wege, die dich jemand lieben lassen,
    den du gar nicht lieben willst.
    Die Zeit hat mir gesagt,
    eine wie dich zu finden ist schwer,
    notleidende Heilung
    für eine notleidende Seele.
    Und die Zeit hat mir gesagt,
    ich soll nicht mehr verlangen,
    eines Tages wird unser Ozean
    sein Ufer finden.
    Sie war gerührt, das konnte ich sehen. Dann las sie einen Vers aus dem Sonett 116 von Shakespeare, den sie selbst übersetzt hatte:
    Die Hochzeit zweier aufrichtiger Seelen werde ich nicht hindern.
    Die Liebe ist Liebe nicht, wenn sie vor Hindernissen schreckt.
    O nein, ein ewiger Fixpunkt für immer, der sich von Stürmen nicht erschüttern lässt.
    Sie ist der Stern, an den die Schiffe sich halten.
    Während sie vorlas, hatte ich vollkommen vergessen, dass unsere Hochzeit nur ein Spiel war. Für mich klangen diese Worte echt.
    Wir küssten uns.
    »Wir müssen uns gegenseitig ein Versprechen geben. Ich habe es heute Morgen beim Frühstück aufgeschrieben«, sagte sie. Sie zog eine Papierserviette heraus und las vor: »Ich nehme dich, Giacomo, zu meinem Mann und verspreche dir, für die restlichen Tage mit dir die Früchte meiner Entscheidungen, meiner Gedanken und Gefühle zu kosten. Ich schenke dir, was ich war, was ich bin und was ich sein werde. Du bist alles, was ich vom Leben wollte. Jetzt bist du dran.«
    »Ich habe aber nichts vorbereitet, außer Nick Drake.«
    »Dann erfinde was.«
    Nach ein paar Sekunden sagte ich: »Aus vollem Herzen nehme ich dich, Michela, für die kommenden

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