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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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ich Michela am nächsten Morgen zur Arbeit brachte, war die Barrow Street voller Schnee. Eine verschneite Straße an einem sonnigen Tag Ende April, das war wirklich eine Überraschung. Die Barrow Street ist eine kleine Straße mit Bäumen und roten Backsteinhäusern. Bei meinen Spaziergängen durchs Viertel nahm ich häufig diesen Weg, weil man dort an der Greenwich Music School vorbeikam, wo aus den Fenstern immer Musik zu hören war. Meistens Klavier. An diesem Morgen war dort alles verschneit, die Pflanzen, die Autos, die Bürgersteige. Einige Passanten trugen sogar Wintermäntel. Es war schön, ein bisschen surreal, wie aus einem Film von Fellini. Wir wollten näher heran, aber das ging nicht, es war alles abgesperrt.
    »Dürfen wir durch den Schnee laufen?«
    »Nein, tut mir leid, das geht nicht, ihr könnt da auch nicht stehen bleiben.«
    Dann hörte man eine Stimme über Megaphon: »Roll it!«
    »Ihr müsst da jetzt weg.«
    Wir verzogen uns, um die Filmaufnahmen nicht zu stören. Ein Passant sagte, er habe Vincent Gallo gesehen.
    »Schade, dass sie uns nicht durchgelassen haben, sonst hätte ich auf dem verschneiten Bürgersteig für dich den Engel gemacht«, sagte ich zu Michela.
    »Aber um es richtig zu machen und keinen Handabdruck zu hinterlassen, hätte ich dir beim Aufstehen helfen müssen.«
    Als ich das hörte, war ich einfach platt. Am liebsten hätte ich sie vom Fleck weg geheiratet, wenn ich es nicht schon getan hätte. Wir machten eine Pause und tranken einen Kaffee bei Joe the Art of Coffee. Ein nettes Café am Waverly Place Ecke Gay Street, mit Holzbänken vor der Tür. Der Kaffee war erstklassig und die Nusskekse zum Reinsetzen.
    Es blieben uns nur noch wenige Tage bis zum Ende unserer Geschichte.
    »Schenk mir etwas Exklusives«, sagte Michela.
    »Was könnte das sein?«
    »Du könntest mir zum Beispiel von einem Ding erzählen, das du gedreht, aber nie irgendjemandem verraten hast.«
    »Da fällt mir im Moment nichts ein. Da muss ich erst nachdenken.«
    »Aber es muss etwas sein, das du wirklich noch nie erzählt hast.«
    Ich dachte eine Weile nach, dann beschloss ich, es ihr zu sagen. Das heißt eingefallen war es mir sofort, aber es schien mir einfach zu blöde. »Es ist etwas, wofür ich mich noch Jahre später geschämt habe. Ich habe es nie jemandem anvertraut. Nicht einmal dem Priester bei der Beichte. Es ist passiert, da muss ich ungefähr neun gewesen sein.«
    »Was kann man denn in diesem Alter Schlimmes anstellen? Eigentlich hätte ich mit etwas Pikanterem gerechnet, aber okay, wenn du es noch nie jemandem erzählt hast, will ich das Kind in dir davon befreien. Los, erzähl schon.«
    »Eines Tages, als mein Freund und ich gerade spielten, kam sein Vater und schenkte ihm ein nagelneues, ferngesteuertes Spielzeugauto. Mein Freund war überglücklich. Die beiden umarmten sich und begannen sofort mit dem Auto zu spielen. Ich schaute zu. Ich war neidisch und eifersüchtig. Auf das Auto wie auf den Vater. Die Umarmung der beiden werde ich nie vergessen. Dann ging der Vater wieder, und mein Freund und ich spielten weiter, aber an das Auto ließ er mich nicht ran, einen Augenblick höchstens, auf jeden Fall weniger als eine Minute. Ich durfte zwar mal auf den Schalter drücken, aber die Fernsteuerung gab er nicht aus der Hand. Nichts zu machen. Plötzlich drehte sich für ihn alles nur noch um das blöde Auto. Es wurde zum Symbol der Distanz zwischen uns, zu einem Unterscheidungsmerkmal. Ohne sein neues Spielzeug tat er keinen Schritt mehr, als könnte er sich davon nicht mehr trennen. Als ich eines Tages bei ihm auf den Hof kam, stand da das Auto samt Fernbedienung. Ich weiß nicht, was mich geritten hat, doch ich schnappte mir das Ding und rannte weg. Kaum war ich in Sicherheit, nahm ich einen Stein, zertrümmerte das Auto und warf die Stücke neben einem Laternenmast ins hohe Gras. Als ich zurückkam, saß mein Freund vor der Tür und heulte. Als ich das sah, freute ich mich. Ich freute mich, ihn leiden zu sehen. Dafür schäme ich mich selbst jetzt noch, wo ich es dir erzähle. Irgendwann kreuzten sich unsere Blicke: Er hatte ganz verweinte Augen, und ich hatte den Eindruck, dass er genau wusste, dass ich es gewesen war, und vor allem, dass ich mich freute, ihn leiden zu sehen. Als wir uns ein paar Tage später stritten, sagte er nämlich zu mir: ›Ich weiß, dass du mein Auto geklaut hast, du Dieb.‹ Dann haben wir uns zum ersten Mal geprügelt. Wir sind zwar Freunde geblieben, aber

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