Noch Einmal Sollst Du Buessen
Motorjachten lagen an den Piers. Ein scharfer Westwind trieb schaumgekrönte Wellen vor sich her, und nur wenige Segler hatten sich auf den Sund hinausgewagt. Riesige Tanker bewegten sich langsam dem Hafen zu. Die kleinen Fährschiffe, die zwischen den Ufern hin- und herpendelten, nahmen sich daneben wie Spielzeug aus.
Victor Montgomery parkte den Jaguar am Pier und stellte den Motor ab. „Und ich kann dich nicht umstimmen?“, fragte er. Als er Marnies entschlossenen Ausdruck sah, schien er endlich zu akzeptieren, dass sie es ernst meinte. „Ich verstehe es zwar nicht, aber wenn du meinst, dem Betrieb für eine Weile entfliehen zu müssen, werde ich versuchen, solange ohne dich auszukommen.“
„Für eine Weile?“, konterte sie. „Ich habe gekündigt, Dad.“
Er hob beschwichtigend die Hände. „Einen Schritt nach dem anderen. Nennen wir es eine … Beurlaubung? Eine Besinnungspause sozusagen. Verlängerte Ferien.“
Sie wollte widersprechen, sagte aber nichts. Vielleicht brauchte er Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Wenn es schon für sie schwer gewesen war, wäre es für ihn bestimmt nicht leichter. Ihr Ausdruck wurde weich, und sie berührte sanft Victors Arm. „Ihr werdet es überleben, du und die Montgomery Hotels.“
„Das will ich doch hoffen“, murmelte er. „Wer ziehen will, den soll man ziehen lassen, sagt man ja wohl. Aber ich akzeptiere keine offizielle Kündigung. Und ich möchte, dass du die paar Wochen bis zur Eröffnung des ‚Puget West‘ noch bleibst. Das ist wohl nicht zu viel verlangt, oder?“
Er zog den Zündschlüssel ab, stieß die Wagentür auf, und sie stiegen beide aus. Marnie atmete tief die salzige Meerluft ein, als sie über die verwitterten Planken des Piers gingen. Sie war mit Booten aufgewachsen, und der Geruch von Salz und Seetang, von Bootslack und Diesel riefen glückliche Kindheitserinnerungen zurück. Damals hatte ihr Vater sich ihr genauso intensiv gewidmet wie seiner Firma. Aber die Zeiten hatten sich gewandelt. Sie war groß geworden, hatte die Schule verlassen, war aufs College gegangen. Ihren Vater hatte sie nur noch in den Ferien gesehen. Aus einem Hotel, dem „Montgomery Plaza“ in Seattle, war eine riesige Hotelkette geworden, die sich bis nach Los Angeles und Houston zog.
Die Schiffswimpel knatterten in der Brise. In das Tuckern der Dieselmotoren mischten sich die heiseren Schreie der Möwen, die über den Booten ihre Kreise zogen.
Marnie folgte den Möwen mit dem Blick und lächelte wehmütig. Sie sind frei, dachte sie. Frei und einsam …
„Ich kann mir schon denken, was du als Nächstes tun wirst“, knurrte ihr Vater. „Du tauscht dein neues Kabriolett gegen einen alten VW-Käfer.“
Sie unterdrückte ein Lächeln. Victor wusste noch nicht, dass sie in der vorigen Woche ihr BMW-Cabrio verkauft hatte. Nach einem alten Volkswagen hatte sie den Markt allerdings noch nicht abgesucht. Keine schlechte Idee, dachte sie, aber sie zog es vor, nicht zu antworten.
„Es bleibt also dabei“, sagte ihr Vater resolut, als hätte er eine mühselige Verhandlung beendet. „Wenn du zurückkommst, unterhalten wir uns in aller Ruhe.“
„Und wenn ich dann immer noch gehen will?“
„Dann unterhalten wir uns ausführlicher.“ Er grub in seiner Manteltasche nach dem Tabakpäckchen, stopfte seine Pfeife und blieb einen Moment mit dem Rücken zum Wind stehen, um sie anzuzünden. „Vielleicht tut dir eine Pause ganz gut. Du solltest die Zeit nutzen, um dir die Sache mit Kent noch mal gründlich zu überlegen.“
„Ich habe es mir überlegt“, antwortete sie beherrscht, obwohl sie beim Gedanken an Kent in Wut geriet. Er hatte sie einmal zur Närrin gemacht. Eine zweite Gelegenheit würde er nicht bekommen.
„Okay, okay. Kann ich mich wenigstens darauf verlassen, dass du bis zur Eröffnung des neuen Hotels bleibst?“
„Ich verspreche es. Aber meinen Entschluss wirst du mir nicht ausreden. Sobald das Puget West seine Pforten geöffnet hat, bin ich weg.“
„Eine Zeit lang.“ Er zog an seiner Pfeife und stieß kleine Rauchwölkchen in die Luft.
Marnie seufzte. „Vielleicht“, sagte sie ausweichend. Sie war nicht zum Nachgeben bereit, wollte ihrem Vater aber auch nicht wehtun. Sie und das Unternehmen waren nun einmal sein ein und alles. Wie sollte er verstehen, dass sie sich als nutzloses Maskottchen der Firma fühlte?
Irgendwann würde er einsehen, dass sie richtig gehandelt hatte. Eines Tages würde er stolz auf ihre Selbstständigkeit
Weitere Kostenlose Bücher