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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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Gewalt umbringen wolle, so müsse ich nicht gehängt, sondern enthauptet werden. Worauf der Henker hohnlachend antwortete, er habe noch nie einen Edelmann in einer Aufmachung wie meiner gesehen und außerdem könne er mich, selbst wenn ich wahr spräche, nicht zufriedenstellen – sosehr er sonst bestrebt sei, seiner Kundschaft zu genügen –, denn er besitze, ebensowenig wie der König von Frankreich, ein hinreichend scharfes Schwert, um den Verrätern die Köpfe abzuschlagen. Hiermit zog er mir die Schlinge fester um den Hals, ich schrie und erkannte erwachend, daß meine kleine Feuerfliege, von Kopf bis Fuß angekleidet, mich mit ihren kleinen Händen an den Schultern rüttelte, die allerdings ein lieblicheres Halsband waren als der Hanf, der mir noch eben die Haut zerkratzt hatte.
    »Pierre!« schrie sie, »Pierre! Die Garden, die Schweizer Garden sind in Paris!«
    Ich aber, heilfroh, am Leben und in weichem Bette zu sein, nachdem ich eine Minute zuvor samt all meinen Sünden dicht vorm Jenseits gestanden hatte, wollte besagten Sünden sogleich eine hinzufügen, indem ich Alizon in die Arme nahm und sie herzte und küßte als Abbild des unerhörten Glückes, um welches der Strick mich beinahe gebracht hätte.
    »Pierre, bist du bei Trost?« rief Alizon und wand sich wie ein Aal. »Hörst du nicht die Trommeln? Und die Marschtritte der Schweizer auf dem Pflaster? Weh über uns! Sie werden uns |429| erschlagen und alles plündern! Soldaten in Paris! Eine Schande ist das! Und ein schmählicher Verstoß gegen das Pariser Privileg!«
    »Was für ein Privileg?« fragte ich stirnrunzelnd.
    »Mein lieber Pierre!« sagte meine kleine Feuerfliege spöttisch, indem sie sich mir entzog, »du bist wohl nach so vielen Jahren noch immer nicht hier angekommen! Weißt du nicht, daß Paris das Privileg besitzt, sich mit seinen Bürgermilizen selbst zu verteidigen, und daß eine Garnison in Paris nichts zu suchen hat? Das ist doch wieder so ein böser Streich deines schwulen Königs!«
    »Der auch deiner ist!«
    »Und seines Herzliebsten!«
    »Der nichts dafür kann, weil er in der Normandie ist.«
    »Ach, Pierre!« schrie sie, »laß uns doch jetzt nicht streiten! Ich sterbe vor Angst und Schrecken, all meine Habe zu verlieren, die Früchte meiner zwanzigjährigen Arbeit. Wahrlich, wenn diese Schweizer uns nicht erschlagen, so werden sie uns doch plündern! Von Vergewaltigungen ganz zu schweigen! Pierre!« flehte sie, da ich in meine Kleider fuhr, »hilf mir! Bitte, nimm deinen guten Degen, deine Pistolen, deinen Dolch und begleite mich mit Miroul und Baragran zum Nuntius!«
    »Zum Nuntius?« fragte ich stutzig. »Zum päpstlichen Nuntius? Wozu denn das?«
    »Um mein Gold zu deponieren. Mehrere Handwerksmeister unserer Straße haben es vorgestern und gestern schon getan, in Voraussicht des Tumultes, und ich muß mich beeilen, es jetzt ebenso zu machen, wenn du mir beistehen willst.«
    »Bah!« sagte ich spöttisch, »da kommst du doch vom Regen in die Traufe. Wer ist der Nuntius, daß er Gold, das er einmal hat, herausgibt, wenn alles vorüber ist? Weißt du, was ein okzitanisches Sprichwort sagt?«
    »Okzitanisch?« rief sie wütend, »laß mich bloß mit deinem Kauderwelsch in Ruhe! Davon verstehe ich kein Wort!«
    »Ich übersetze es dir: ›Mönche und Läuse machst du nie satt. Sie nehmen alles, sogar den letzten Brotkanten.‹«
    »Ha, Hugenott!« schrie sie, und Tränen der Wut schossen ihr in die Augen, während sie wie angestochen hin und her lief, »verspottest unsere guten Priester, Ketzer du! Anstatt mir zu helfen, du Unmensch!«
    |430| »Bist du tollwütig geworden?« sagte ich und schnappte sie bei einer Hand, damit sie innehielt, »was soll das heißen, Hugenott, Ketzer, Unmensch? Ist es nicht mehr dein Pierre, dem du die scharfen Zähne ins Fleisch schlägst? Darf ich nicht anderer Meinung sein als du? Bin ich ein Ketzer, wenn ich zu deinen Entschlüssen nicht ja und Amen sage? Wenn du dein Gold unbedingt zum Nuntius tragen willst, bitte, trag es hin, Törin! Sosehr ich dagegen bin, werde ich dir doch helfen.«
    Worauf sie mir um den Hals fiel, mich inständig um Verzeihung bat, mir tausendfachen Dank ins Ohr schnurrte, mich anstrahlte und küßte, und nachdem sie mich hübsch in ihre Netze eingewickelt hatte, wollte sie sofort aufbrechen, während ich sie, mit einem Blick zum Fenster hinaus, ermahnte, wenigstens solange zu warten, bis die Schweizer vorüber wären, die mit düsterem Trommelschlag, zu dem

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