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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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die Hauptstadt zu wandern und mit den Einwohnern ins Gespräch zu kommen, indem ich mich für einen Tuchhändler aus Boulogne ausgab, der seine Gevatterin in Paris besuchte, meine Marienmedaille sichtbarlich überm Wams, einen perlmutternen Rosenkranz ums rechte Handgelenk geschlungen und den Mund voll ligistischer Reden, ebenjenen, die ich überall auf Straßen, öffentlichen Plätzen und Märkten, in Schenken und Kirchen hörte. In den Kirchen lauschte ich besonders eifrig, die Nase ins Gebetbuch gesteckt und ohne Knauserei Kollekte spendend, und nickte andächtig zu den aufrührerischen, illoyalen Predigten, bei denen mir zu anderen Zeiten das Schwert von selbst aus der Scheide gefahren wäre.
    Von Schwert oder Degen war an meiner Ausstaffierung freilich nicht die Spur, nur den Dolch hatte ich rücklings im Gürtel stecken und zwei Pistolen in den schrecklichen Pluderhosen, zwei auch in denen von Miroul, die ebenso gepludert waren, bürgerlich und komisch wie die meinen, von seinen Wurfmessern |425| ganz zu schweigen, die uns zur Not helfen sollten, unsere Haut teuer zu verkaufen, sollte uns jemand zufällig entlarven.
    Durch Quéribus, der mich am späten Abend bei Alizon aufsuchte, erfuhr ich, daß Guise in diesen zwei Tagen, in denen ich mir die Schuhsohlen auf dem Pariser Pflaster ablief, dem König sozusagen nicht von der Seite wich, bald sah er ihn im Louvre – wohin er nun mit großer Eskorte zurückgekehrt war – , bald in der Messe, bald zur Tafel, wo er ihm in seiner Eigenschaft als Großmeister von Frankreich die Serviette präsentierte, und bald auch im Kloster der Reuigen Jungfrauen, dem Wohnsitz der Königinmutter. Nach allem, was von diesen Begegnungen durchsickerte, bemühte sich der König, Guise zu überzeugen, daß er Paris verlassen müsse, und Guise den König, daß dieser, sofern er einwilligte, nach seinem Fortgang für das Leben der Ligisten in der Hauptstadt Sicherheiten bieten müsse. Worauf der König ihm den Raub der picardischen Städte vorwarf und Guise schwor, daß er sie nur in seinem Namen halte und ihm gutwillig wiedergeben werde, sobald der König, anstatt seinen Feinden zu glauben – was auf Epernon zielte –, endlich seine guten Dienste anerkennen und sich mit ihm aussöhnen werde. Und als der König hierauf Epernon mit Schnabel und Klauen verteidigte, soll Guise sich tief vor ihm verneigt und mit einem Lächeln wie Honigseim erwidert haben, »aus Liebe zu seinem Herrn liebe er sogar seinen Hund«. Kurzum, Guise liebedienerte dem König und gewann Zeit.
    Und warum er Zeit gewinnen wollte, das erschloß sich mir klar, und ich sagte es dem König, denn wohin ich auch kam, fand ich die Stadt unruhig wie nie. Die Ligisten, die vor Guises Ankunft den Mut verloren und schon fast aufgegeben hatten, reckten, kaum daß er da war, die Köpfe und schwirrten wie Honigbienen, in nahezu offener Rebellion Jubel und Anbetung des Volkes für ihn zu mobilisieren. Allerdings zeigte sich Guise kaum mehr in der Öffentlichkeit, nachdem er am 9. Mai, bei seiner Ankunft, sowie man ihn erkannt hatte, in dieser närrischen Stadt keinen Schritt hatte machen können, ohne daß großer Auflauf um ihn entstand. Die guten Leute hatten ihm zugejubelt, ihm Hände, Stiefel, ja die Hufe seines Pferdes geküßt, manche hatten sogar, Segen erhoffend, ihren Rosenkranz an seinem Mantel gerieben.
    In diesen zwei Tagen sah ich auf den Straßen nichts wie Rotten |426| von Männern, die, ohne sich irgend zu verstecken, blanke Stichwaffen und Arkebusen trugen, hitzige Reden führten, oft ein weißes Kreuz wie seinerzeit die Mörder der Bartholomäusnacht am Hut, sich lauthals mit ihren damaligen Heldentaten brüsteten und bald darin fortzufahren hofften. Ebenso sah ich Pfaffen, die unablässig predigten, auch ohne Kanzel, und wer weiß wie viele Fässer, große und kleine, die durch die Straßen gerollt und an im voraus bezeichneten Stellen aufgestapelt wurden, damit man sie in kürzester Frist quer über die Bahn stellen und mit herausgebrochenen Pflastersteinen füllen könne.
    Von den drei Vierteln der Hauptstadt – La Ville, La Cité und L’Université – dünkte mich letzteres am wildesten in seiner Entschlossenheit, hatten doch die Herren der Sorbonne, Mönche und Pfaffen dem Völkchen der Scholaren einen schier fessellosen ligistischen Eifer eingeblasen, die ob ihrer Jugend und ihres streitbaren Wesens ohnehin leicht genug zu Plünderung und Revolte neigten. In dem La Ville genannten Viertel, auf dem

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