Noch immer schwelt die Glut
nachdem ich auf unserem Zimmer mit La Bastide ein wenig gefochten hatte.
» Cap de Diou
, Baron!« sagte er, als er zu Atem kam, »da fuchteln wir zum Spaß mit unseren guten Klingen herum, anstatt sie dem Guise in den Leib zu jagen!«
»Geduld, mein Freund«, sagte ich und fügte ein Sprichwort auf okzitanisch hinzu: »Wer den Hahn des Königs frißt, spuckt nach hundert Jahren die Federn.«
»Wir haben das gleiche Sprichwort in der Gascogne«, sagte La Bastide lachend, »nur ein bißchen anders, wobei mir einfällt, daß ich vorhin im Wirtssaal einen alten Herrn gesehen habe, der mit seinem Diener ganz ähnlich sprach wie Ihr, und ich glaube, er ist aus dem Périgord.«
»Wie sieht er aus?«
»Kahlköpfig, eher Amts- als Schwertadel, obwohl er einen Degen trägt. Freundlich, ohne Hochmut, obwohl er ziemlich hoch im Reich zu stehen scheint, weil er um den Hals den Sankt-Michaels-Orden trägt.«
»Bei Sankt Antons Bauch!« schrie ich, »davon gibt es im Périgord nicht so viele, als daß ich mir nicht denken könnte, wer das ist!«
Und schon eilte ich auf Samtpfoten die Treppe zum Wirtssaal hinunter (wo ich aus bekanntem Grund sonst nie erschien), warf einen Blick durch den Türspalt, und wahrhaftig wie das Evangelium!, wen sah ich da wacker bei Speis und Trank, mit hoher Stirn unterm kahlen Schädel, hohen Wangenknochen, langer Adlernase und jüdischen Mandelaugen, wen, Potzblitz!, wenn nicht den Herrn von Montaigne!
»Ho, La Bastide!« rief ich, wieder im Zimmer, »bitte, ruf mir Margot, daß sie dem Edelmann ein Billett überbringt, ich liebe ihn sehr und kenne ihn, und wünsche sehr, ihn hier zu sprechen.«
»Ist er ein Freund des Königs?« fragte La Bastide, seinen Schnurrbart zwirbelnd.
»Und ob!«
» Mordi!
Dann braucht es keine Margot, ich bringe ihm Euer Billett selber.«
Herr von Montaigne, sonst ziemlich lebensfrisch, wie mir schien, mit seinen fünfzig Jahren, hatte einige Mühe, mich zu erkennen, nicht etwa wegen meiner schwarzen Haare, sondern |478| weil seit unserer Begegnung im Jahr 1572 sechzehn Jahre vergangen waren. Und damals war ich ein Jüngling, kaum erst meinen Studien entwachsen. Um die Wahrheit zu sagen, kannte er meinen Vater besser als mich, denn er hatte ihn oft an Navarras Hof getroffen, und es ging das Gerücht, daß Montaigne als Mittler zwischen dem König und dem Béarnaiser gedient hatte und vielleicht noch diente, war er doch des letzteren Freund und dem König von Frankreich treu, kurz, einer der »Politiker«, welche die Liga haßte, weil sie ihren katholischen Glauben mit einigen Körnchen Toleranz zu würzen pflegten.
»Ha, Monsieur!« sagte ich, »ist es richtig, daß die Ligisten Euch am Tag der Barrikaden festgenommen und eingekerkert haben?«
»Ja, ja!« sagte er lächelnd. »Was blieb ich auch in solchen Zeiten nicht friedlich zu Hause hocken (womit er seinen schönen väterlichen Stammsitz, Schloß Montaigne im Bordelais, meinte). Was für Aufhaltungen und Ärgernisse mußte ich auf dieser Reise ertragen! Unterwegs überfielen mich Räuber und nahmen mir all meine Vermögenswerte, aber wenigstens ließen sie mir das Leben. Und kaum in Paris, um eine Ausgabe meiner Essais zu besprechen, werde ich von den Ligisten in den Kerker geworfen, die mich, weniger barmherzig als die Räuber, umgebracht hätten, wenn die Königinmutter, die mich von jeher liebte, sich nicht für mich verwendet hätte.«
»Dann sei ihr für diesmal großer Dank!« sagte ich. »Ohne sie wäre das Reich um einen Weisen ärmer und die Welt um etliche Eurer
Essais
.«
»Ach, Monsieur!« sagte Montaigne mit halb echter, halb gespielter Bescheidenheit, »das glaube ich nicht, das sind Träume.«
»Aber dem König werdet Ihr doch glauben«, sagte ich, »der sie überaus liebt und immer wieder liest, alle, die schon erschienen sind.«
»Das gleiche sagte er mir in der Tat heute morgen, so bedrängt er von seinen Geschäften auch ist«, erwiderte Montaigne, »und logierte mich, unter großem Lob für Euch, in diesem Gasthof, damit ich Euch hier sprechen und vielleicht Nachrichten für Euren Herrn Vater mitnehmen kann, wenn es das Glück will, daß ich ihn bei meiner Heimkehr sehe.«
Hierbei lächelte Montaigne verständnisinnig, und ich lächelte zurück, denn damit bestätigte sich mir, daß er – ebenso wie |479| Monsieur de Rosny 1 , den ich am Vortag in den Straßen von Blois gesehen hatte – gelegentlich als Mittler zwischen dem König und Henri von Navarra diente, weil er meinen
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