Noch immer schwelt die Glut
Fassung ohne den ›gotteslästerlichen Satz‹ vor, die er unterschreiben sollte. Nun, und während der König las, wurde der Himmel, der schon seit Tagesanfang düster und regnerisch war, noch düsterer. Die Dunkelheit im Gemach wurde so groß, daß man einen Leuchter entzünden mußte, damit der König weiterlesen und unterschreiben konnte. Und François von O, der mit mir in der Fensternische stand, flüsterte mir zu, es sei der Letzte Wille des Königs, was man ihn da unterschreiben lasse, und man zünde Kerzen an, um zu sehen, wie er seinen letzten Seufzer tue.«
»Nein!« rief ich, »nein, nein! Nicht er wird den letzten Seufzer tun! Der König hat Guise im voraus und zu Recht verurteilt und gibt jetzt nur geschmeidig nach und laviert, ohne aber das angepeilte Ufer aus dem Auge zu verlieren.«
»Das Schicksal wird es entscheiden!« sagte Montaigne, und ich vermerkte überrascht, daß er das Wort »Schicksal« und nicht »Gott« gebrauchte, ganz wie in seinen
Essais
übrigens, was ihm die Zensur in Rom zum scharfen Vorwurf machte. Er kenne Guise und den König von Navarra, fügte er wenig später hinzu, und seiner Meinung nach sei der erste so wenig Katholik wie der zweite Protestant … Was mich auf den Gedanken brachte, daß wohl auch Montaigne weder das eine noch das andere war.
»Das Schlimme an der Sache ist«, sagte er tags darauf, als er sich von mir verabschiedete und einen Brief an meinen Vater mitnahm, »daß man den König nach diesem Rückzug für schwach, furchtsam und feige halten wird und daß die Generalstände, die Liga und Guise sich nicht scheuen werden, ihm jegliche Schofelei zuzumuten.«
Worin er sich nicht täuschte, nur daß das Wort »Schofelei« zu schwach war für die Rückschläge, die der König in den folgenden zwei Monaten zu kassieren hatte, für den Haß und die |482| Verachtung, welche die ligistischen Stände gegen ihn nährten, worin sie keine Grenzen mehr kannten, wie ich täglich sah, wenn ich diese endlosen Sitzungen inmitten der »Fünfundvier zig « verfolgte.
Als der König nicht wollte, daß Navarra seines Anrechts auf die Krone verlustig erklärt werde, ohne ihn anzuhören: »Und ginge es nur um ein Erbe von hundert Ecus, so wäre es nur gerecht, ihn anzuhören und zu fragen, ob er sich nicht bekehren will«, antworteten brüllend die Generalstände: »Niemals wird uns ein gewesener Ketzer regieren!« Leser, du hörst es: Sogar bekehrt wollte man Navarra nicht! Diese Fanatiker gingen in ihrem Eifer noch weiter als der Papst!
Die Stände hielten die Schnüre des Geldbeutels, doch anstatt diese zu lockern, versuchten sie den König damit zu erwürgen. Er sollte gegen seine hugenottischen Untertanen einen erbarmungslosen Krieg führen, sie verweigerten ihm aber die Mittel: Keine Subsidien, keine Kontributionen, auch keine außerordentlichen Zuwendungen, und alle seit 1576 eingeführten Steuern wurden aufgehoben. »Meine Herren«, sagte der König, »wie soll ich auf diese Steuern verzichten, da sich das Leben so stark verteuert hat? Wovon soll ich leben? Mir das Geld verweigern heißt, daß ich verloren bin, so wie Ihr und mit uns der Staat.« Da brüllte einer der Deputierten: »Ihr müßt ja nicht König sein!«
Anfang Dezember sagte ein Deputierter des dritten Standes, in dem Gesuch der Stände an den König, sein Haus zu reformieren, seien die »Fünfundvierzig« als unnötig zu streichen, und er erhielt starken Beifall für diesen Vorschlag, den man von Guise eingeflüstert glaubte.
»Cap de Diou!«
schrie La Bastide am Abend in den »Zwei Tauben«, »diese Guises sind leibhaftige Teufel! Sie wollen uns das Brot vom Munde wegnehmen!
Mordi!
Kommt nicht in Frage, aber der Fall ist sowieso klar. Dieser verdammte Guise will der Wespe den Stachel ziehen, ehe sie ihn sticht.«
»Hast recht!« bekräftigte Montseris. »Was sind wir hier, wenn nicht die Hunde des Lamms? Wer die Hunde verjagt, will das Lamm fressen! Das versteht doch jeder!
Cap de Diou
«, fluchte er, die Hand am Dolch, »der König gebe mir diesen Guise, und ich mach seine Eingeweide zu Klöppelspitze!«
Der König versammelte die »Fünfundvierzig« zu früher |483| Morgenstunde, als Herr von Guise noch erschöpft von seiner Nacht mit Madame de Noirmoutiers im Schlosse schlief, und sagte ihnen, daß er sich in keinem Fall von ihnen trennen werde, er sei ihnen verbunden und betrachte sie als seine Söhne; er liebe sie im selben Maße, wie sie anderswo gehaßt würden und nicht ohne Grund, denn
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