Noch immer schwelt die Glut
unterstützt von den drei Ständen, daß er sich unbesieglich dünkt – wie die Armada«, setzte Venetianelli lächelnd hinzu, »oder wie Goliath.«
»Signore«, sagte ich lachend, »es scheint Euch nicht sehr zu betrüben, daß Ihr durch mich gezwungen seid, die Hand zu beißen, die Euch nährt.«
»Aber sie nährt mich nicht an ihrer Tafel«, sagte Venetianelli überheblich, »sondern in der Küche, bei Soßenpanschern und Lehrjungen: Ich betrachte dies als schwere Mißachtung meines Talents. Der Doge von Venedig behandelte mich besser.«
»Signore«, sagte ich, indem ich ihm auf die Schulter klopfte, »ich bin zwar weder Doge noch Herzog, doch wäre es mir eine Ehre, Euch einmal zu Tisch zu haben, da ich sehe, daß ich es mit einem bedeutenden Mann zu tun habe, der so ehrenwert der Muse des Theaters dient. Fahrt bitte fort, auch dem König gut zu dienen, und ich kann Euch versichern, daß es Euch Vorteile bringen wird, weit über die Vernichtung eines ungelegenen Püppchens hinaus.«
Hierauf umarmte ich ihn und begleitete ihn bis zur Treppe, und er schied so zufrieden mit mir wie mit sich, was nicht wenig war. Wieder im Zimmer, warf ich mit der Maske meine Zuvorkommenheit ab, denn letzten Endes behagte mir der Schelm nicht sehr, ein Gauner und Galgenvogel, wie ich fand, der sich von einer Zuhälterin aushalten ließ.
Ich sagte es Miroul, der mit seinem Schreibzeug hinter dem Bett hervorkam.
»Gewiß, Monsieur«, meinte er, »aber er ist doch sehr unterhaltsam! Wie lebensecht er die Niedrigkeit dieser hohen Herrschaften |490| mimt, von denen unser Wohl und Wehe abhängt! Und ist es nicht verrückt, daß dieser kleine Wurm im Räderwerk der großen Intrigen das winzige Sandkorn sein könnte, das die Geschichte womöglich zum Kentern bringt? Sein Bericht glich einem Pulverfaß. Wer weiß, was da herausspringt?«
»Ha!« sagte ich, »das fragst du? Ich weiß nicht, ob es sich gehört, den Herrgott um eines Menschen Tod zu bitten, aber, Potzblitz, ich bitte ihn darum!«
Hierauf verbrachten wir zwei volle Stunden damit, seine Notizen und meine Erinnerungen in eins zu fassen und alles schriftlich festzuhalten, was Venetianelli gesagt hatte.
Am liebsten wäre ich damit sofort ins Schloß geeilt, trotz der tiefen Nacht und des strömenden Regens, nur leider konnte ich es ohne die »Fünfundvierzig« nicht und mußte bis zum nächsten Tag warten.
Früh am anderen Morgen meldete Laugnac mich dem Türsteher, der meldete mich Du Halde, worauf mich dieser im Alten Kabinett aufsuchte und ich ihn als erstes nach dem Ergehen des Königs fragte.
»Der Winter bekommt ihm nicht, Baron«, sagte er. »Mag es bei anderem Wetter so oder so gehen, bei schlechtem wird er fast unerträglich. Sobald der Himmel trübe wird, verdüstert er sich. Er schimpft mit jedem Atemzug. Fast weint er, wenn es regnet. Friert es, erstarrt er. Und kein Gedanke mehr an Zerstreuung! Er lebt wie ein Anachoret in der Zelle, wacht lange, schläft wenig, steht zeitig auf, arbeitet von früh bis spät, erschlägt mit Arbeit seine vier Staatssekretäre und den Kanzler, läßt niemandem etwas durchgehen, klagt – er! – über jede Ausgabe, ist, mit einem Wort, unsagbar kleinlich, zänkisch, mürrisch, argwöhnisch, erzürnt und bitter – er glaubt alle Welt gegen sich verschworen, sogar der Regen ist Verrat!«
Ha! dachte ich, als Du Halde mich ins Gemach des Königs führte, was Seine Majestät aus meinem Mund zu hören und von meiner Feder zu lesen bekommt, wird ihn wohl kaum von seiner Galligkeit und schwarzen Stimmung heilen.
Der König stand und wärmte sich an einem spärlichen Feuer. Die tiefe Falte zwischen seinen Brauen und seine scharfen Mundwinkel zeigten, wie sehr Du Halde recht hatte.
»Mein Sohn!« sagte er, indem er mir seine Hand, kaum gewährt, |491| wieder entzog, »dich sieht man überhaupt nicht mehr! Du läßt mich im Stich! Und, bitte, höre mit diesen Kniefällen auf! Man weiß doch, was sie taugen, die tiefsten Kniefälle machen die Verräter. Was für ein Verräter und Dummkopf muß auch der Architekt meines Großvaters gewesen sein, daß er den Kamin hier ans Ende des Raumes setzte und meinen Thron ans andere in diese blödsinnige Apsis, als ob ein König, nur weil er König ist, nicht unter Kälte leidet. Du Halde, es ist ja Mitternacht am hellen Tag! Laß doch bitte neue Kerzen bringen und ein paar Scheite ins Feuer legen. Sind wir schon derart auf den Hund gekommen, daß der König von Frankreich kein Feuerholz mehr
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