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Noch immer schwelt die Glut

Noch immer schwelt die Glut

Titel: Noch immer schwelt die Glut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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hätten den König nicht fortlassen wollen, weil seine Wahl sie zuviel gekostet hatte.«
    »Aber auch«, sagte Quéribus lachend, »weil sie fanden, das polnische Reich sei das französische Reich wert, und den König bedrängten, er solle daheim einen Vizekönig ernennen, um König in Warschau zu bleiben.«
    »Da hätte er sich ja was eingehandelt!« meinte mein Vater und lachte seinerseits. »Nicht nur daß Polen soviel kleiner und ärmer an Adel ist als Frankreich, hier lacht auch der Himmel viel öfter, und welche Stadt der Welt könnte sich mit Paris messen?«
    »Sicherlich«, sagte Quéribus. »Aber die Piasten waren fest entschlossen, den König zu halten, und ohne List wäre man ihnen nicht entkommen.«
    »Was sind Piasten, Monsieur?« fragte Catherine.
    »Die hohen Adligen, Provinzstatthalter, Madame«, sagte Quéribus, indem er sich verneigte, aber diesmal vorsichtig, nur |84| bis zur Brust. »Wenn die Piasten sich auf ihrer Versammlung, dem Sejm, einigen, sind sie mächtiger als der König in diesem seltsamen Land. Doch weiter. Am 18. Juni, in einer sehr heißen Nacht, gab der König, nachdem er versprochen hatte, in seinem polnischen Reich zu bleiben, den Piasten in seinem Schloß ein pantagruelisches Fest, wo guter französischer Wein nur so floß. Die Herren, allesamt große Weiberhelden und Säufer, lagen um Mitternacht unterm Tisch. Der König sah es, zog sich in sein Gemach zurück und tat, als wolle er schlafen, worauf Graf Tenczinski, der sich kaum mehr aufrecht hielt, die Bettvorhänge schloß.«
    »Wie hieß dieser Graf?« fragte mein Vater.
    »Tenczinski. Er war der Hofmarschall, mit sehr viel Bart und sehr viel Stolz auf seine herkulische Statur. Kurzum, Tenczinski schwankt hinaus. Der König steigt aus dem Bett, legt das Kleid seines Kammerdieners an und erreicht, gefolgt von Du Halde Villequier, Du Guast Soubré, Quélus, Pibrac, Miron, Fogacer und mir, das Ausfalltor.«
    »Ha, Fogacer war dabei!« warf ich ein.
    »Und ich«, sagte Quéribus, mit einem Blick zu Catherine.
    »Ach, Monsieur!« sagte sie, »erzählt weiter, mir ist so bange um die Flüchtigen.«
    »Madame«, sagte er mit neuerlicher Verneigung, »Ihr bangt zu Recht! Denn kaum hatten wir das Schloß verlassen, als ein Koch, der den König erkannt hatte, es Tenczinski meldete, der, so fest er zwischen seinesgleichen auch geschnarcht hatte, seine Tataren sammelt, in den Sattel springt und, trotz seiner Trunkenheit, sich an unsere Fersen heftet. Ha, war das ein Ritt! Im Morgengrauen, einige Meilen vor der österreichischen Grenze, sahen wir, wie sie mit verhängten Zügeln hinter uns hersprengten. Beim himmlischen Hafen! Sie waren drauf und dran, den König gefangenzunehmen, und wehe dann unseren Köpfen!«
    »Euren Köpfen, Monsieur?« rief Catherine, beide Hände auf dem Herzen.
    »Sie wären gefallen!«
    »Gottlob, mein lieber Quéribus«, sagte mein Vater halb ernst, halb lachend, »hat es nicht sein sollen, daß ein so trefflicher Kopf unter polnischem Eisen fiel!«
    »Doch ging es um Haaresbreite!« sagte Quéribus feurig. |85| »Wir erreichten den ersten österreichischen Marktflecken, als das Pferd des Königs tot unter ihm zusammenbrach, und schon war Tenczinski mit seinen Tataren zur Stelle. Von den Bewohnern der österreichischen Ortschaft stand natürlich keine Hilfe zu erwarten, sie hatten sich bei Ansicht der Eindringlinge in ihren Häusern verriegelt und verrammelt. Tenczinski blickt wortlos zum König, befiehlt seinen Tataren Halt und kommt allein, auf seinem kleinen weißen Pferd, auf uns zugeritten. Er sitzt ab, doch beim Absitzen fällt er längelang auf den staubigen Platz. Wir staunten sowieso, wie er es in seinem Zustand so lange Stunden auf seinem schweißenden Tier hatte durchhalten können. Torkelnd erhebt er sich schließlich.
    ›Graf, mein Freund‹, ruft ihm der König zu, ›kommt Ihr als Freund oder Feind?‹
    ›Ach, Sire‹, sagt der Riese in seinem nicht minder torkelnden Französisch, ›ich komme als sehr unterwürfiger Diener des Königs.‹
    ›Dann laßt Eure Tataren abziehen!‹ schrie Soubré.
    Tenczinski wandte sich um, hob seine Peitsche und ließ sie mit solcher Kraft knallen, daß er beinahe wieder das Gleichgewicht verlor, brüllte seinen Reitern einen barbarisch klingenden Befehl zu, worauf diese uns im Nu die Kruppen kehrten und auf und davon stoben. Auf dem Platz stand nur mehr das weiße Pferd des Grafen, das offenbar sehr wohl verstanden hatte, daß ihm weder Gebrüll noch

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