Noch immer schwelt die Glut
nicht enthalten konnte, mir doch noch eine Lehre zu verpassen, »daß es manchmal mehr bringt, durch die Pariser Straßen zu laufen als durch die Galerien des Louvre.«
Ich nahm den Hieb lächelnd hin, denn nach so vielen Seite an Seite gelebten Jahren weiß ich manchmal wahrlich kaum mehr, wer von uns beiden der Herr ist, Miroul oder ich, sooft ich ihn schelte, so oft tadelt er mich, nichts schenkt er mir, was ihn gekränkt hat, und zahlt es mir früher oder später heim. Aber so ist es nun mal mit Herren und Dienern, denke ich, sofern Zuneigung sie regiert. Sogar der König wird sozusagen von denen bevormundet, die ihm dienen, denn indem sie ihm nur melden, was ihnen behagt, nötigen sie ihm zugleich die Art seiner Erwiderung auf.
Mein armer Giacomi war verzweifelt, seine Larissa so nahe und doch so unerreichbar hinter Klostermauern zu wissen. Wahrscheinlich, dachte ich mir, hatte Samarcas sie dort eingesperrt, weil ihm nicht entgangen war, welche Fortschritte der Maestro in der Zuneigung seines Mündels inzwischen gemacht hatte, und war deshalb nicht bei den Montcalms abgestiegen, wo der Maestro jederzeit willkommen war. Für mich stand es jedenfalls fest, daß Giacomi in diesen vergangenen zehn Jahren nur Larissa im Herzen trug, auch wenn er diesen und jenen Unterröcken nachstieg, um nicht ganz unbeweibt zu leben, sich aber mit Händen und Füßen gegen jede Heirat wehrte in der Hoffnung, Larissa eines Tages zu seiner Gemahlin zu machen. |130| Und ich war mir gewiß, wenn Samarcas verschwände, würden die Montcalms sich diesem Plan nicht lange widersetzen, war Giacomi doch unleugbar ein Edelmann, der in blendender Gunst beim König stand. Dieser hatte ihn zum Dank für seine guten Dienste zum Junker ernannt und mit dem kleinen Gut La Surie beschenkt, dessen Namen Giacomi sich fortan beilegte, um den seinen zu französisieren. Überdies war er, weil Maître Silvie langsam alt wurde, zum Lehrmeister der größten Herren des Königreichs aufgerückt und hatte sich dank deren Freigebigkeiten ein schönes Haus in der Rue Saint-Honoré, mit Loggia und Taubenhaus, gekauft, wo er einen italienischen Lebensstil pflegte, so daß man ihn für vermögender hielt, als er tatsächlich war.
Was nun Larissa und Giacomi anging, um von beiden einmal als Paar zu sprechen, so hatten sie im langen Lauf dieser zehn Jahre zwar kaum mehr als zehn Worte, kaum mehr als zehn Küsse getauscht, doch errötend bei jedem Wiedersehen, erblassend bei jedem Abschied und ungeachtet der Gegenwart anderer (denn wann waren die Armen schon einmal allein?) hatten sie mit stürmischer, wenngleich stummer Beredsamkeit ihrer seligstrahlenden, vor Verlangen trunkenen oder tränenumflorten Augen einander stillschweigend eine so unbedingte Treue gelobt, wie es die gemurmelten Beschwörungen zehn papistischer Priester nicht besser vermocht hätten.
Und indem ich all dies in großer Freundschaft für meinen Bruder Giacomi und nicht minder großer, aber, wie gesagt, zwiespältigerer Liebe zu meiner schönen Schwester Larissa bedachte (wobei die Zwiespältigkeit ein besonderer Grund für mich war, die beiden vereinigen zu wollen), träumte ich wer weiß wie oft davon, wie ich Samarcas fordern und gegen dieses Geschöpf der Finsternis unversehens meine Jarnac-Finte gebrauchen würde, um den Jesuiten aus dem Feld zu schlagen. Doch, Leser, es war mit diesem Traum wie mit vielen anderen: Er erfüllte sich nicht. Die Geschichte ging anders aus, wie man sehen wird.
Ich führte also meinen Giacomi in den Waffensaal, doch damit er, wenn er gegen mich blankzöge, in seiner Verzweiflung sich nicht etwa selbst durchbohre, hakte ich ihn unter und wandelte mit ihm auf und ab durch den Saal, auf daß er sein Herz von Kummer und Wut erleichtere. Bald schleuderten seine |131| Augen Flammen, bald weinten sie, und immer aufs neue knirschte er mit den Zähnen, ballte die Fäuste, stampfte mit den Füßen auf oder bettete das Haupt klagend an meine Schulter, während er sich in eine Redeflut verströmte, von der ich höchstens ein Viertel wiederholen könnte, der Rest war ohnehin Italienisch, das ich ja verstanden hätte, wäre es nicht so schnell hervorgesprudelt worden und obendrein in einem Genueser Dialekt, der mir fremd war.
Endlich versiegten die Ausbrüche und Tränen, der ganze Aufruhr, in den er geraten war, verstummte, und ich zog ihn auf eine Truhe nieder.
»Mein Herr Bruder«, sagte ich, »hatten wir, was wir durch Nicolas Poulain soeben erfahren haben, im
Weitere Kostenlose Bücher