Noch Viel Mehr Von Sie Und Er
ich kein Comeback als Boxer feiern muss, weil ich früher nie geboxt habe. Ich kann auch wieder studieren und Prüfungen bestehen, die ich für meinen Beruf gar nicht benötige. Ich brauche keinen Orgasmus mehr vorzutäuschen und prächtige Windbeutel backen – oder umgekehrt. Ich muss auch nicht mehr den richtigen Mann finden, sondern kann mir meinen eigenen schönsaufen.
In allem Schlechten sollen wir das Gute suchen, empfiehlt uns der Talmud. Die sensomotorischen Fähigkeiten lassen zwar langsam nach, ich kann nicht mehr so schnell laufen wie früher, aber dafür entdecke ich den Euro, der mir von unter einem Grasbüschel entgegenblinkert. Ich vertrage auch nicht mehr so viel Alkohol, das spart eine Menge Geld und vertreibt die Angst vorm Blasen – bei Alkoholkontrollen. Mein Auto bewege ich längst nicht mehr so rasant, dafür sehe ich mehr von der Landschaft. Für die Entdeckung der Langsamkeit sind die besten Jahre das Alter, was Frauen beim Sex besonders entgegenkommt. Statt: ›Bist du etwa schon fertig‹? heißt es jetzt: ›Hat es noch Zweck zu warten, Schatz‹?
ER Alter
Einen der schönsten Sätze über das Alter hat Fontane geprägt: Das Alter hat viel Hässliches und Dummes, aber ein Gutes hat es wohl: Es nimmt alles nicht mehr so wichtig und man kann es so machen oder auch so. Wunderbar. Was er meint, ist die Altersmilde, die sich mit den Jahren einstellt, wohlgemerkt meist nur bei Männern. Wie so vieles ist auch dieses Phänomen hormongesteuert. Unser Testosteronspiegel sinkt mit zunehmendem Alter, und das weibliche Hormon, das Östrogen, gewinnt die Oberhand. Bei der Frau verläuft der Prozess genau umgekehrt: Der Östrogenspiegel sinkt und das Testosteron, das Kämpferbenzin, wenn man so will, dominiert. Das ergibt dann die berüchtigten zänkischen alten Weiber. Wahrscheinlich ist genau das die Erklärung dafür, dass Männer eine um sieben bis acht Jahre geringere Lebenserwartung haben. Also: Güte, Sanftmut, Milde, Harmoniebedürfnis nehmen beim alternden Manne zu – diesen Satz lassen wir mal so stehen und lernen ihn auswendig.
Je älter man wird, desto lieber schwelgt man in Erinnerungen. Sie sind, wie Jean Paul sagt, das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Und der Schatz der gesammelten Erinnerungen nimmt zu, man hat immer mehr zu erzählen, deshalb ein ganz wichtiger Rat: Maß halten! Manche Silberrücken können einem mit den alten Schmarren gehörig auf den Zeiger gehen, zumal es immer dieselben Schoten sind. Der Best-Ager stellt sich offenbar eine Anekdoten-Hitparade seines Lebens zusammen, die er jedes Mal in Gesellschaft abspult, weil er sich natürlich nicht mehr merken kann, wen er damit schon genervt hat und wen nicht. Es ist ja eher das Kurzzeitgedächtnis, das nachlässt, und das hat die Natur wieder ganz pfiffig so eingerichtet, denn was man im Alter erlebt, ist meist eh nicht des Behaltens wert. Was auch nachlässt, ist die Anpassungsfähigkeit an die Neuzeit.
Ich bin keiner, der sich grundsätzlich gegen den wissenschaftlichen Fortschritt stemmt, aber moderne Geräte berauben uns oft gänzlich jener Glücksmomente, die uns die alten schenkten. Nehmen wir nur alte mechanische Waagen. Manchmal, in alten Hotels, findet man sie noch. Erst mal kann man mit der Stellschraube vor null gehen, also ein halbes Kilo wegschummeln, ein weiteres Kilo ist durch behutsame Gewichtsverlagerung drin, und wenn man sich bis zuletzt am Waschbecken festhält und dann ganz vorsichtig loslässt, noch mal ein Pfund. Meine Frau hob sogar immer ein Bein, bis ich sie mit der physikalischen Faktenlage vertraut machte.
Wissen Sie übrigens, woran Sie ohne Waage merken, dass Sie zugenommen haben? Wenn Sie nach dem Essen den obersten Knopf der Hose aufmachen wollen und er ist schon auf.
Ein anderes Problem unserer hochtechnisierten Umwelt ist, dass die Geräte immer mehr können, warum auch immer, und dass es immer komplizierter wird, sie dazu zu bringen, ihren eigentlichen Aufgaben nachzukommen. Die Bedienungsanleitung eines heutigen Handys stellt für mich keine Herausforderung dar, sie lässt mich gleich das Handbuch schmeißen. Ich bin aber nicht der einzige Blöde. Viele Menschen möchten sich nach einer Show gerne mit mir zusammen fotografieren lassen, mit ihrem Handy oder ihrer Digitalkamera. Zu diesem Zweck drücken sie ihr neues Wunderding einem Unbeteiligten in die Hand, geben Anweisungen, denen er nicht folgen kann, suchen ein neues Opfer, stellen dann fest, dass
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