Noch Viel Mehr Von Sie Und Er
von hinten, wenn man gerade ein Bier am Hals hat, es ist insgesamt ruhiger, kontemplativer, friedvoller. Und die Gespräche vom Nebentisch, die man ungewollt mit anhört, sind interessanter. Letztens saßen links von mir zwei alte Damen, hatten eine riesige Kuchenplatte vor sich und die eine erzählte vom Ableben ihres Gatten: Also wir sitzen da und gucken Florian Silbereisen und Opa steht auf und will ein anderes Programm einstellen, und er ist fast da und kippt um. Herzschlag, hat der Arzt gesagt. Und er hat noch Glück gehabt. Zwei Zentimeter weiter links und er hätte sich beim Fallen an der Tischkante noch den Schädel gebrochen. Furchtbar. Wenn wir die Fernbedienung nicht verlegt hätten, wär das nicht passiert.
Und dabei haute sie sich die Schwarzwälder Kirschtorte rein, dass es nur so spritzte. Offensichtlich erleichtert Essen das Fertigwerden mit Schicksalsschlägen. Ich hab jetzt immer was bei, für alle Fälle. Wenn jemand zu mir sagt: Stellen Sie sich vor, meine Frau ist gestorben, kann ich sagen: Oh, das tut mir leid, kommen Sie, nehmen Sie ein Bifi.
SIE Wellness
Wohlfühlen hat mir immer schon gut getan. Alles, was ich dazu brauche, ist Wasser. Je mehr, desto besser. Als ich endlich schwimmen gelernt hatte, wollte ich aus dem Wasser gar nicht mehr raus. Wasser ist Leben, heißt es, und das stimmt. Schauen Sie sich bei sommerlichen Temperaturen an Sandstränden und in Badeanstalten um, da sehen Sie manchmal vor lauter Leben das Wasser nicht mehr.
Daran hat sich nicht viel geändert, aber als ich meiner achtzigjährigen Mutter erzählte, dass ich mit meiner Freundin ins Wellnesswochenende fahre, um mich ein bisschen verwöhnen zu lassen, hat sie mich ziemlich schräg angeguckt. »Von wem?«, fragte sie knapp. »He, was du wieder denkst, dazu brauchen wir keinen Mann«, lachte ich. Jetzt schaute sie noch dramatischer und fragte ernst: »Kind, hast du Probleme?« Ich erklärte ihr, dass man nicht unbedingt Probleme haben muss, um Wellness zu machen, sondern dass wir unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden fördern wollen. »Bist du krank?«, kam mütterlogisch die nächste Frage auf den Seziertisch. »Quatsch, mir geht’s gut, ich möchte nur ein Wochenende lang relaxen, im Sprudelbad sitzen und massiert werden, Schönheitspackungen im Duftrausch genießen und das Fitnessangebot ausprobieren.« »Und was kostet das?«, fragte sie kaum erleichtert. »Weiß ich nicht genau«, antwortete ich wahrheitsgetreu, »hängt davon ab, wie intensiv wir uns verwöhnen lassen. Wahrscheinlich so um die 300–400 Euro.« »Für jeden?«, hakte sie trocken nach. Ich nickte. »Du hast doch ’nen Vogel«, meinte sie abschließend und ging kopfschüttelnd weg.
In der Tat, als wir sonntags abends heimfuhren, hatten auch wir das Gefühl. Wir fragten uns, wie wir so lange ohne Wellness ausgekommen waren. Bis uns einfiel, dass wir daran ja gar keine Not hatten, es hieß früher nur anders. Wäre uns der neue Fachausdruck von klein auf geläufig gewesen, hätten wir doch stolz auf ein bis dahin erfülltes Wellnessleben zurückblicken können, gespickt mit Badespaß, Massagen, Kosmetik und Fitness am laufenden Band. Wir hatten nur noch nicht alles auf einmal unter einem Dach und für so viel Geld gemacht wie in unserem Wellnesshotel. So komprimiert kann Wohlfühlen ähnlich anstrengend werden wie Warten. Natürlich ist es wunderbar, die tägliche Arbeit an der eigenen Schönheit mal jemand anderem zu überlassen, massiert, gecremt, gesalbt und mit positivem Gedankengut überhäuft zu werden. Keine Frau möchte auf so was verzichten. Was aber, wenn sich sämtliche Gespräche rundherum ausschließlich um die Probleme alternder Haut, die Länge von Fingernägeln und anderen Gliedmaßen drehen, als gäbe es nichts anderes mehr? Ich komme mir da schnell wie unter Fachidioten vor. Die zu besichtigenden Herren in Bademänteln und -latschen mit Joghurtcreme im Gesicht und grünschwarzem Kurschlamm auf dem vom Haarvolk dünn besiedelten Kopf liegen wenigstens still auf ihren Ruheliegen und sehen obendrein putziger aus. Aber auch sie drehen voll auf, wenn es heißt, mangelnde Ausstrahlung gegen mangelnden Verstand einzutauschen. Einer ließ sich doch tatsächlich zu einem Do-it-yourself-Peeling überreden, bei dem er sich unter der Dusche selbst abrubbeln musste. Dafür hat er auch noch vierzig Euro hingeblättert.
Beneidenswert lässig und amüsiert waren dagegen die von ihren hyperhormonisierten Endfünfziger-Heroes verlassenen
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