Noch Viel Mehr Von Sie Und Er
Schutzumschlag. Ich bekam die Erstausgabe übersetzt von Harry Rowohlt zum 20. Geburtstag. Es heißt: ›Der dritte Polizist‹ und die Geschichte ist mit zahlreichen Theorien über das Leben angereichert, die meine Sicht der Dinge aus den Angeln hoben und dann auf den Kopf stellten, was mir ausgesprochen gut gefällt. Nur sehr widerwillig und mit großem Ehrenwort, es nach vier Wochen zurückzubringen, hab ich es an einen Freund verliehen, der einer der unzuverlässigsten weit und breit war, aber dafür ein wunderbarer Musiker. Nach einem halben Jahr hab ich telefonisch mal nachgefragt, aber er hatte es einem Freund weiterverliehen. Dafür müsse ich Verständnis aufbringen, meinte er, denn schließlich sei es längst vergriffen und auch aus den öffentlichen Bibliotheken verschwunden. Danach machte das Buch seine Freundesrunde. Zwei Jahre später, ich war schon schwer verzweifelt, kündigte er die Rückkehr des Werkes innerhalb der nächsten Wochen an, sobald sein Freund mit Abschreiben fertig sei. Wie, Abschreiben, fragte ich, meinst du Wort für Wort, wie früher in den Klöstern? Schon mal was von fotokopieren gehört? Das käme überhaupt nicht infrage, sagte er, denn schließlich habe das Buch seinem Freund das Leben gerettet. Gut, mit dem Zweitnutzen von Büchern hatte ich auch schon Erfahrungen gemacht, ein paar Seiten zum Feuermachen oder als Stütze von wackeligen Betten, und sicher können Ratgeberbücher Leben retten, wenn man darin z. B. erfährt, dass die todbringende Krankheit, unter der man zu leiden glaubt und sich zum Sterben gezwungen sieht, nach 14 Tagen von selbst wieder verschwindet, aber im Zusammenhang mit meinem Lieblingsbuch konnte ich mir darauf keinen Reim machen. Ich erfuhr, dass es sich um ein Eifersuchtsdrama auf dem Höhepunkt gehandelt hatte. Der Freund meines Freundes, verheiratet, drei Kinder, wurde nachts aus dem Bett geschellt. Er öffnete, und vor ihm stand ein in seine Gattin verliebter Nebenbuhler mit der Schusswaffe in der Hand und den Worten: »Ich muss dich jetzt umbringen«, auf den Lippen. Derart unvorbereitet auf den eigenen Todesfall, bat der Freund um einen allerletzten Spaziergang und, ebenfalls unvorbereitet auf diesen letzten Wunsch, gab der Nebenbuhler nach. Zusammen gingen sie durch die Nacht, das stumme Gespräch wurde an einer Weggabelung unterbrochen durch die Frage des Mörders in spe, welche Straße nun eingeschlagen werden sollte. Dem zum Tode Verurteilten fiel an dieser Stelle die Theorie über Straßen aus O’Briens Werk ein und er erzählte sie in ganzer Länge. Daraufhin verlor der feurig Verliebte seine Tötungsabsicht, schenkte ihm die Waffe und bot Freundschaft an. Die beiden sind heute noch befreundet, aber mein Buch, der Lebensretter, sieht aus wie die Sau. Seitdem hab ich es nur noch mit dieser Geschichte zusammen verliehen, und siehe da, mit der Aura des Unglaublichen versehen, kam es immer wieder zu mir zurück. Als ich es neulich zu einer Lesung mit Harry Rowohlt mitnahm, es ihm mit zerfleddertem Schutzumschlag, Flecken, geknickten Seiten und verdehntem Rücken vorlegte und bat, es zu signieren, sagte er: Oh, das sieht gut aus.
ER Buch
Wann immer ich auf Tournee oder sonstigen Reisen Gelegenheit finde, gehe ich in jeden Buchladen, der mir am Wege steht. Ich weiß auch sofort, ob er einen Platz in meinem inneren Ordner »besuchenswerte Buchläden« bekommt oder nicht. Wie ist der Geräuschpegel? Lautstarke Konversation zweier Lesehilfen, wie ich das Personal zärtlich nenne, über einen missglückten Beischlafversuch – schon schlecht. Musik? Gedämpfte Klassik oder Jazz? Nicht? Warum nicht? Ein ordentlicher Ghettoblaster kostet heutzutage nicht mehr die Welt und die Musik kommt vom iPod, schon ist eine andere, kontemplativere Atmosphäre da. Gibt es eine Kaffeebar? Oh wie schön! Eine Auswahl aus zehn infrage kommenden Werken trifft sich leichter bei einem Tässchen Schwarzgebrannten, die Fürsorge für den Kunden, die durch die Bereitstellung der Labung schimmert, sie darf auch gerne etwas kosten, ist als Kaufstimulans gar nicht hoch genug einzuschätzen; ich sage das jedem meiner Stammbuchhändler und werde mittlerweile mit Kaffee zugeschüttet. Dann die Auswahl der Titel, die einen frontal anlachen: Wenn unter zehn ausgelegten Büchern mich drei förmlich anspringen, bin ich richtig. Ganz doll, wenn eine Lesehilfe von selber ankommt und sagt: »Ich sehe gerade Ihre Bücherauswahl, da müsste Sie eigentlich dies hier interessieren.« Schon
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