Noch Viel Mehr Von Sie Und Er
Bedienungsanleitungen zählen auch nicht, obwohl so manche im fernen Osten übersetzte technische Anweisung durchaus einen Platz in der Abteilung »Skurrile Literatur« verdient hätte. Ich meine solche Bücher, deren Titel und erste Seiten neugierig machen und zu einer Reise einladen, ohne dass man einen Fuß vor die Tür setzen muss. Sie kann in die Vergangenheit, Zukunft oder ins Reich der Fantasie führen, sie kann abenteuerlich, unterhaltsam und informativ werden oder zum Gruseln, Lachen oder Weinen bringen.
Als Kind stand ich auf Abenteuergeschichten, entwickelte mich vom Peterchens-Mondfahrt- zum Enid-Blyton-Fünf-Freunde-Fan, später kamen Sagen, Legenden und Jerry Cotton an die Reihe. Karl May konnte bei mir weder auf der indianischen noch auf der orientalischen Tour landen, aber mit Jack London wurde die Karibik meine zweite Heimat und die Verhältnisse zur Zeit des Goldrausches in Alaska kenne ich besser als den Inhalt meiner Vorratskammer. Mit dem Ausklang der Pubertät kam die Phase, in der ich es besonders schön fand, wenn Bücher farblich zusammenpassen. Wegen der feinsinnigen farblichen Einbandgestaltung hatte ich jahrzehntelang das Kursbuch abonniert. Das sah aus wie ein Regenbogen-Hammer im Regal und meine Freunde haben gedacht, oh, die liest Kursbuch, sei mal lieber vorsichtig hier. Etwas zeitverschoben kamen die gelb-schwarzen Diogenes-Krimis von Autobahnlänge ins Regal. Die Werke der Altmeister wie Raymond Chandler, Patricia Highsmith, Margret Millar, Joan Aiken und Dashiell Hammett habe ich während des Studiums verschlungen und erinnere mich bis heute an Sätze wie: »Er ballte sein kleines, fleischiges Fäustchen«, und »Sein Lachen war breit, etwa eineinhalb Zentimeter breit. Er trug ein himmelblaues Sportsakko, dessen Schultern kaum breiter als eine Garagendoppeltür waren«, oder an den hinreißenden Dialog in einer Bar: »Einen Martini. Trocken, sehr, sehr, sehr trocken. Okay. Wollen Sie ihn mit einem Löffel oder einem Messer oder einer Gabel essen? Schneiden Sie ihn in Streifen, ich will nur dran rumknabbern. Soll ich Ihnen die Olive einpacken?« Vor meiner Diplomprüfung geriet ich etwas in Panik und kaufte mir ein Buch über Intelligenz mit beiliegendem Test. Mit einigen Manipulationen hier und da kam ich in einen passablen IQ-Bereich und hab mich entspannt. Ich hätte auch Atemübungen machen können, um mich zu beruhigen, aber ich hab es lieber schwarz auf weiß. Ein langjähriger hilfreicher Begleiter wurde das blau-weiße Reparaturanleitungsbuch für den Citroen 2CV, ohne das ich wahrscheinlich 1974 auf der Transitautobahn nach Berlin bis zum Fall der Mauer hätte ausharren müssen. Seitdem entzücken mich Bücher, bei denen Form und Inhalt zusammenpassen wie bei meinem weißen, dicken Buch mit einem Loch in der Mitte, durch das ich gucken kann. Beim Lesen im Bett kann ich meine Füße sehen und es heißt: Der Quantenmensch. Beziehungsdramen sind gar nicht mein Fall. Die immer gleiche Geschichte: Ich werde dich verlassen, es sei denn, du willst mich verlassen, dann würde ich mir das noch mal überlegen und eventuell zurückkommen, ist schon im eigenen Leben schwer nachzuvollziehen und macht in ein Buch gedruckt auch keinen Sinn. Dagegen sind Kochbücher die reinste Wohltat. Die blättere ich durch, studiere die raffiniertesten Speisen und Zutaten, schau mir die Bilder an, bekomme Appetit und mach dann leckere Bratkartoffeln. So geht’s mir auch mit dem Kamasutra. Still und leise fasziniert hat mich das kleine dünne Buch des Japaners Junichiro Tanizaki, das den Schatten lobt. Innerhalb der japanischen Ästhetik spielt der Schatten eine große Rolle und ich erfuhr, dass für den Schatten die Nacht quasi Tag ist, weil er sich nur im Dunkeln richtig austoben kann. Um also den Schatten in seinem Element zu erleben, geht der Japaner, so wird erzählt, wenn er nachts Wasser lassen muss, nach draußen, und zwar zu einer eigens für diesen Zweck angelegten Grube, die mit frischen duftenden Tannenzweigen ausgelegt ist, damit keine banalen Geräusche die Versenkung in Mondlicht und Schattenspiel stören. Wow! Wie beeindruckend und öko-schlau! Über die schalldämpfende Wirkung von Tannenzweigen in Abtritten hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht. Wer weiß, was man erst mit Tannenzapfen noch anfangen kann, außer daraus zur Weihnachtszeit Männchen zu basteln.
Mein Lieblingsbuch hat der irische Schriftsteller Flann O’Brien geschrieben und es hat natürlich einen grünen
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