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Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
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zuerst geantwortet.
    «Sicher», sagt Manu. «Wo willst du sie machen?»
    «Weiß ich noch nicht. Ich muss mir erst Szenen ausdenken.»
    «Ich möchte schon lange das Theaterblut ausprobieren», sagt Lis. «Brauchst du Requisiten und Kleider?»
    «Möglich.»
    Pascal sieht auf die Uhr. «Wir müssen zur Probe.»
    «Und jetzt stellt ihr euch vor, ihr seid euer Vater oder eure Mutter. Macht dem anderen Elternteil eine Liebeserklärung.» Jana blickt in die Runde. «Ich gebe euch eine Viertelstunde Zeit zur Vorbereitung.»
    Fleur setzt sich und nimmt das Biologiebuch aus der Schultasche. Endlich hat sie Zeit, das verpasste Einführungskapitel in Genetik nachzulesen. «Das Bindeglied zwischen Eltern und Nachkommen ist nur eine winzige Eizelle, die mit einer männlichen Geschlechtszelle verschmolzen ist. In immer wieder auftretenden Fällen weichen manche Nachkommen in einzelnen Merkmalen deutlich von ihren Eltern ab.» In ihrer Familie hat außer ihr niemand rote Haare, was Verwandte immer wieder zum Witzchen mit dem Milchmann verleitet. Früher war sie deswegen verunsichert. Heute bedauert sie, dass es den Milchmann nicht gibt. Er wäre eine Erklärung. «Dominant, rezessiv, Segregationsregel.» Sie wiederholt die Begriffe mit Blick in den Raum. Alice durchstöbert die Requisiten. Einen Moment lang hält sie ein Stillleben in den Händen. Mutters Collage. Sie hatte sie nach der Amerikareise für Vater gemacht. Fleur war damals noch klein. Während der drei Wochen dauernden Reise der Eltern wohnte Grosi bei ihr, schickte sie in den Kindergarten, kochte, las ihr vor. Fleur vermisste die Mutter, die ihr erlaubte, bei Regen ein Kleid zu tragen, und ihr das Haar so zusammenband, dass es einen Tag lang hielt. Auch das Frühstücken mit Vater fehlte ihr. Die Reise kam ihr ewig vor.
    Nach der Rückkehr lag etwas Feierliches zwischen den Eltern. Die Mutter kuschelte sich auf dem Sofa zwischen Fleur und Vater, Vater lachte anders, sie schlossen die Schlafzimmertür. Vater trug am Morgen nur eine Unterhose und schenkte Mutter einmal einen so großen Strauß, dass sie keine Vase fand dafür und die Blumen in einen Eimer stellte. Fleur versucht sich zu erinnern, wann das Feierliche erlosch. Eine Weile lang umflorte es noch das Wort «Amerika». Dann zeugte nur noch die Collage im Elternschlafzimmer davon. Mutter räumte sie in den Estrich, nachdem Vater ausgezogen war.
    Früher erzählten die Eltern, sie hätten sich auf den ersten Blick ineinander verliebt. «Eines Tages sah ich eine Frau im Zug sitzen, die so in ihr Buch vertieft war, dass sie nichts um sich wahrnahm», sagte Vater. «So verführte sie mich.» Er sei stumm zu ihr ins Abteil gesessen und habe angefangen, einen Grundriss zu skizzieren. «Das machte mich neugierig», sagte Mutter. «Ich fragte ihn, was er da zeichne.» Bevor er aussteigen musste, verabredeten sie sich zu einem Besuch in der Sternwarte. Als sie sich dort trafen, war der Himmel bedeckt. Sie sahen keine Sterne. Aber sie küssten sich. «Dann gab das eine das andere. Fleur kündigte sich an, wir zogen zusammen, heirateten, ich gründete die Firma, meine Frau engagierte sich in der Bibliothek», sagte Vater, wenn er die Geschichte Gästen erzählte.
    Fleur stellt sich Liebe anders vor. Zusammen am See sitzen, sich erzählen, was man geträumt hat, wovor man sich fürchtet, was man sich wünscht. Verstanden werden. Gemeinsam ins Kino gehen. Für den anderen das Wichtigste sein. Respekt. Immer.
    Wie mit Sarah, bevor sich Miriam und Gott zwischen sie drängten, aber mit einem Jungen. Nicht einmal Worte brauchten sie, um sich zu verständigen. Musste die eine nach der Lektion zur Besprechung zum Geografielehrer, blieb die andere im Raum, um sie vor seinen Blicken zu schützen. Verspotteten die Mitschüler sie als Lesben, lachten sie und gingen erst recht Arm in Arm durchs Schulhaus. Sie redeten über alles. Was ist der Sinn des Daseins? Gibt es guten Krieg? Goethe oder Schiller? Adele oder Bon Iver? Sie amüsierten sich über die Reaktionen von Verkäuferinnen, wenn sie diese auf Kauderwelsch anquatschten. Und erst das Gesicht der früheren Lateinlehrerin, als Sarah und sie für einen Vortrag die langweiligen Kriegsberichte Cäsars mit einer Gummibärchen-Phalanx nachstellten. Warum hat Sarah das alles hingeschmissen? «Ist etwas geschehen?», fragte Sarahs Vater. «Nichts Besonders», sagte sie. Dass sie über Miriam stritten, sagte sie nicht. Sarahs Vater klang verzweifelt am Telefon. «Sie ruft einmal pro

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