Nochmal tanzen - Roman
Woche an, treffen will sie uns nicht. Nicht einmal die kleine Schwester mag sie sehen.»
Jana klatscht in die Hände. «Manu, fängst du an?» Manu, die über ein Heft gebeugt am Boden kniet, schaut hoch. «Mir fällt nichts ein. Meine Eltern leben seit 26 Jahren zusammen. Sie haben zwei Söhne und eine Nachzüglerin gezeugt, sie wäscht die Kleider, er bringt sie zum Bügeln, am Samstagabend laden sie Freunde ein oder gehen zusammen essen. Für einen Monolog reicht das nicht.» Die anderen lachen. Die Regisseurin ruft Pascal auf. «Meine Mutter starb, als ich vier Jahre alt war», sagt er. «Ich weiß nicht, wie Vater mit ihr war.» Jana mustert ihn, nickt. «Fängst du an, Alice?» Fleur kann es kaum fassen, dass Jana mit keiner Silbe auf Pascals Schicksal eingeht. Ihm scheint es nichts auszumachen. Er steht am Bühnenrand und sieht zu, wie Alice mit dem Stillleben auf die Bühne tritt. «Das ist ein Mann», sagt sie und deutet mit der Hand auf die Früchte. «Hier sind die Augen, der Mund. Sein Haar ist blond.» Sie stellt das Bild auf einen Stuhl und setzt sich gegenüber.
«Ich mag dein Hallo unter der Tür, das Gewicht deines Beines auf meiner Hüfte, deine Verlegenheit, wenn ich dir sage, dass du geschnarcht hast. Ich liebe es, dir beim Fußballspielen anzusehen, dass es für dich gerade nichts Wichtigeres gibt, als den Ball zu erwischen. Ich liebe deine Begeisterung für deinen Beruf, deinen Einsatz für den Verein, obwohl mich beides fernhält von dir. Ich mag es, tanzen zu gehen und zu wissen, dass du dich nicht langweilst ohne mich.
Was wäre das Zuhause ohne dein Rascheln in der Küche, dein Keuchen auf meiner Haut, das Surren deines Rasierapparates. Wie sähe ich aus ohne deine Vorliebe für langes Haar. Wer würde die Glühbirne im Flur auswechseln, die Matratze wenden? Woher wüsste ich, dass ich im Eifer zu laut spreche und weniger Parfum auftragen sollte? Ich mag es, von dir erinnert zu werden, dass ich früher gut sang. Es tut mir weh, zuschauen zu müssen, wie dein Körper schwach wird.» Alice wendet sich vom Bild ab. «Mehr habe ich nicht.»
Fleur blockiert die Tür bis Alice eingestiegen ist. «Das nächste Mal verlasse ich die Probe früher», sagt Alice schwer atmend. «Ich mag nicht mehr hetzen.» Im Abteil nimmt sie die Thermoskanne aus der Tasche und bietet Fleur Tee an. Sie trinkt den Becher in einem Zug leer. «Dass du weißt, warum sich deine Eltern geliebt haben.»
«Tue ich nicht. Ich dachte an Fritz, meinen Mann.»
«Ist er tot?»
«Er starb vor rund einem Jahr.»
«Oh.»
«Ich lebe schon lange alleine mit dem, was uns verbindet. Ich ließ mich als junge Frau von ihm scheiden.»
«Warum?»
«Ich wollte mehr vom Leben, er wollte Kinder. Eine eigene Tanzschule hätte ich mit Kind vergessen können. Fritz hätte den Mietvertrag nicht unterschrieben.»
«Du hättest selbst unterschreiben können.»
«Das durfte eine verheiratete Frau damals nicht.»
«Was?» Sie reicht Alice den Becher. «Frechheit.»
«Die noch nicht lange her ist.»
«Was war Fritz von Beruf?»
«Lehrer.»
«Dein Monolog hörte sich an, als hättest du ihn geliebt.»
«Natürlich. Sonst hätte ich ihn nicht geheiratet. Wobei», Alice schenkt sich Tee ein, «vielleicht habe ich die Intimität zwischen uns mehr geliebt als seine Person.»
Fleur betrachtet Alice. Der Lippenstift ist verblasst, über der Stirn sind die Haare zersaust. Die Eleganz ist nicht gewichen. Eine Dame durch und durch. Und eine eigensinnige Frau. Fleur versucht, sich die junge Alice vorzustellen. Sarahs langes Haar, Lis’ Kleider, Sarahs Stimme stellen sich ein. «Was hättest du gemacht, wenn du schwanger geworden wärest?»
«Mich dreingeschickt.» Alice schraubt den Becher auf die Thermoskanne. «Soll ich dich Wörter abfragen?»
«Ich muss Mathe üben. Ist meine nächste Note nicht genügend, bleibe ich sitzen.»
«Ich werde eine Kerze anzünden für dich.» Alice lehnt sich zurück. «Eine Frage noch. Was soll ich Alexander sagen, was für Unglücksfälle stellen wir nach?»
«Jemand fällt ins Wasser, jemand wird operiert, jemand kommt unters Auto. Mehr weiß ich noch nicht.»
«Jemand könnte aus dem Fenster stürzen.»
Fleur nickt und vertieft sich ins Mathematikbuch. Nachdem sie eine Weile gelernt hat, brummt ihr Mobiltelefon in der Jackentasche. Sie öffnet die SMS . «Liebe Fleur, bist du wieder gesund? Holen wir unser Essen nächste Woche nach? Herzlich, Papa.»
«Du kannst mich mal.» Alice, die eingenickt
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